Von Kalle.
Neulich äußerte sich eine Freundin abwertend über „Salonkommunisten“ – Menschen, die im gepflegten Salon über den Kommunismus reden, ohne im Alltag auch nur einen Finger gegen soziale Ungleichheit krumm zu machen. Ich kann das Misstrauen gegen das so bezeichnete Milieu älter gewordener Linker zwischen Verbandspolitik, Projektheimerei und Promotionsstelle gut verstehen, schließlich gehöre ich irgendwie dazu. Aber der Begriff ist falsch: Die prekär Selbstbeschäftigten von heute verfügen weder über die materielle Sicherheit noch die geschmackliche Verfeinerung, die es dem Bürgertum in seiner Epoche ermöglicht hat, sich im Salon relativ frei von gesellschaftlichen Zwängen intellektuell und künstlerisch über die Welt zu erheben. Während man damals in einer Art intellektuellem Klassenverrat dem Schulterschluss mit dem Proletariat zumindest auf der Ebene der politischen Ziele gesucht hat, suchen die Möchtegern-Bourgeois von heute vor allem den kulturellen Schulterschluss nach oben: Man tut halt so, als wäre man Oberklasse, auch wenn Käse und Wein – wie beim „Neuköllner Salon“ der Berliner Naturfreundejugend – aus dem Discounter kommen. Trotzdem bildet man sich ein, durch das Nachahmen der Sitten der Buddenbrooks und der Grammatik von Adorno auch gleich mit dem alten Professor im selben Boot bzw. Salon zu sitzen.
Nein, nein, das ist nicht der Salonkommunismus – es ist der Salonsimulationsklassismus. Und der ist deutlich bekloppter als das Original. Denn die eingebildete Zugehörigkeit zur Bourgeoisie zieht nicht nur nach man alle kommunistische Aktivität da unterlässt, wo sie einem selbst schaden könnte, sie führt sogar dazu, die eigene Betroffenheit vom Klassenverhältnis auszublenden. Klar: Wer sich wie ¾ der Studierten gedanklich zur Oberklasse zählt, kann nicht aufmucken, wenn der Job unbezahlte Mehrarbeit oder das Verschieben der Entlohnung in eine unbestimmte Zukunft verlangt. Denn Aufmucken würde beweisen, dass man eben doch nur zum intellektuellen Lumpenproletariat gehört, das mit 35 auf die erste unbefristete Stelle hofft.
Statt der verlorenen Glorie einer untergegangenen Schicht nachzutrauern, täten die kulturellen TrittbrettfahrerInnen des Bürgertums gut daran, die materielle Lage zur Bestimmung des Klassenstandpunkts heranzuziehen und zu begreifen, wie prekär und unterbezahlt sie dastehen, bis mit 40 einer von zehn die erhoffte Entfristung bekommt. Genau das würde die Perspektive eröffnen, den Kommunismus – als Suche nach der aufhebenden Bewegung, nicht als zu erdenkende intellektuelle Leistung – zum Thema zu machen.
Der Ort dafür muss wohl überlegt sein. Auch wenn die StudentInnen es 1968 vor allem in Frankreich geschafft haben, den bürgerlichen Staat an seine Grenzen zu treiben, wäre es wohl übertrieben, auf den Mensa-Kommunismus zu hoffen. Seine strukturellen Rahmenbedingungen – die nachkommende Elite kämpft für eine bessere Ausgestaltung ihrer Reproduktionsbedingungen – macht es schwierig, hier viel rauszuholen. Die Pommesbude, der Dönerimbiss und das Pizzataxi sind zu klein, um die kritische Masse zusammen zu bringen, die für ein kollektives Aufbegehren nötig wären. Statt dessen bietet sich die KücheFürAlle an. Kollektiv, selbstorganisiert und mit klassenübergreifendem Charakter bringt sie Menschen zusammen, denen das Leiden an den Verhältnissen gemeinsam ist. Hier sitzt die stressgeplagte Doktorandin neben dem arbeitslosen Studienabbrecher und der Durchwurstel-Punkerin. Hier gibt man sich Tipps zum Umgang mit der ARGE, zu bezahlbarer Krankheitsversorgung und zu Strategien der Arbeitsverweigerung. Hier kümmern sich die Menschen umeinander und zwar nicht, weil sie durch familiale Bande gezwungen sind. Und wenn’s gut läuft, lastet die Anstrengung auf vielen Schultern.
Der Küfa-Kommunismus kommt in Bewegung, wenn sich die Menschen die Werte des Bürgertum materiell und kollektiv statt kulturell und individualistisch aneignen. Konkret: Gemeinsam feststellen, dass nur Fensterscheiben uns vom guten Wein trennt, der uns fehlt. Und wenn die Salonkommunisten helfen, den Wein auszuwählen, dürfen sie auch mitmachen. Nur die SalonsimulationsklassistInnen müssen weiter bei Käse-Eckchen und Blanchet über die Commune reden, statt sie in Bewegung zu setzen.