Antifaschismus für oder gegen Deutschland

Simon Rubaschow berichtet seine Eindrücke vom 23. antirassistischen und antifaschistischen Ratschlag in Suhl.

Leider nur am 2. November anwesend, ist mein Bericht notwendig fragmentarisch und eröffnet eher Perspektiven auf den diesjährigen Ratschlag, als dass er ihn umfassend kommentiert. Dennoch scheint mir ein Bericht sinnvoll, da sich am Ratschlag – beziehungsweise meinen Eindrücken von ihm – verschiedene Punkte ausdrückten, die auch über den Ratschlag selbst hinaus, für die Situation, in der sich radikale, progressive Politik in Thüringen befindet, von Belang sind.
Zunächst aber ein Lob an die Organisator_innen des Ratschlags, die es schafften, in Suhl ein sehr reichhaltiges Programm insbesondere an Bildungsveranstaltungen anzubieten, an dem inhaltlich nichts auszusetzen war. Es bildete die derzeitige thematische Breite des Antifaschismus ab, setze sich also, beispielhaft genannt, mit der Situation von Flüchtlingen, dem NSU-Prozess, Antizionismus oder der deutsch-europäischen Austeritätspolitik auseinander. [1] Gleichzeitig hatten diese, als „Workshops“ beworbenen Bildungsveranstaltungen zumindest da, wo ich es überblicke, weitestgehend Vortragscharakter. Dieser einseitig gerichtete Vortragscharakter fiel zusammen mit einem „Auftaktplenum“, das eine Podiumsdiskussion war, und der spontanen Abschaffung des Abschlussplenums durch den Moderator – einem Gewerkschaftsfunktionär, der sich für eine Mischung aus katholischem Priester und Selbsthilfegruppenleiter (was nun ja auch nicht soweit voneinander entfernt liegt) hielt und der, ohne das es von den Teilnehmenden Widerspruch gab, jede mögliche Diskussion wegmoderierte („Jetzt haben wir genug reflektiert … jetzt danken wir uns allen mal.“). Insgesamt blieb so wenig Raum für das beratschlagen, so dass der Titel der Veranstaltung vielleicht traditionsreich, aber unzutreffend war.
Die Veranstalter_innen wussten vermutlich um diese Schwäche des Konzepts und suchten es auszugleichen, indem sie das Auftaktpodium thematisch so zusammensetzten, dass es gelang, in komprimierter Form die in der Bündnisarbeit strittigen Punkte miteinander zu konfrontieren. Der Grüne Uli Töpfer vom „Bündnis für Demokratie und Toleranz Meiningen“, Michael Ebenau als Vertreter der IG Metall und ein Vertreter der Antifa Suhl/Zella-Mehlis diskutierten also etwa eine Stunde lang, wofür, wogegen und wie Antifaschismus Sinn macht und brachten ihre Differenzen gelungen auf den Punkt. Während das Wogegen (vielleicht erwartbarerweise) die wenigsten Streitpunkte aufwarf – gegen Nazis, aber vor allem gegen gesellschaftlichen Rassismus und Antisemitismus, und deswegen auch gegen den Kapitalismus (zu Lachern führte es, dass diese Einigkeit so weit ging, dass sie Michael Ebenau gar dazu brachte, die schon nur mit sehr viel naiver Hoffnung zu entschuldigende Lüge auszusprechen, die IG Metall sei eine antikapitalistische Organisation).
Die derart verdeckten Widersprüche waren am Wofür dagegen klar abzulesen: Die bürgerlichen Akteure formulierten utopisch-antiradikale Ideale von Meinungspluralität, Gewaltfreiheit, Toleranz etc., die aufzeigten, dass ihr Antikapitalismus, so er ernst gemeint ist (was ich nicht vermute), eher ein Antikapitalismus zum Gruseln wäre, da sie offensichtlich nicht verstehen, wogegen sie da wären. Die Perspektive der Antifa Suhl/Zella-Mehlis dagegen war die Perspektive von Kommunist_innen im Thüringer Wald, denen es im Angesicht ihrer eigenen Ohnmacht „darum geht, Schlimmeres zu verhindern, ohne dabei zu vergessen, dass – ganz abstrakt gesagt – jenes zu verhindernde Schlechtere Produkt des bestehenden schlechten Zustands ist.” [2] Die Reste ihrer Hoffnung auf Revolution verkleideten sie in den Anspruch, zur „radikalen Aufklärung” vereinzelter Einzelner beizutragen – während es den bürgerlichen Antifaschisten um eine rotgrüne kulturelle Hegemonie geht, die jedoch in der thüringer Provinz vermutlich ebenso unwahrscheinlich wie die Revolution ist.
Anhand dieses Gegensatzes spaltete sich auch die Frage nach dem Wie. Zwar bestand Einigkeit darüber, dass Bündnispartner_innen gebraucht werden, und mehr als Event-Politik sollte es auch sein, aber wie die Integration antifaschistischer Politik in alltägliche Praxis gelingen mag, blieb unbeantwortet – und strittig auch, welche Mindeststandards an Bündnispartner_innen gestellt werden sollten, also auch inwiefern Bündnisarbeit selbst zur Aufklärung dienen soll. Ob also er Rassist, der an einer Blockadeaktion teilnimmt – so das Beispiel – ein Bestandteil gelungener Bildungsarbeit sei oder das Unterlaufen von Mindeststandards progressiver Politik. (Unter die Kategorie ‚schlechter Scherz’ dagegen fiel eher die Ausrede Töpfers für die Einladung des Verfassungsschutzes durch das Meininger Bürger_innenbündnis, dass sei eben so demokratisch entschieden worden.) Ebenfalls aus der Opposition der Frage, ob im Kern ein anderes, tolerant-meinungsplural-gewaltfrei-buntes Deutschland oder das Ende Deutschlands als Ziel anvisiert wird, speiste sich die Differenz in der Gewaltfrage. Die bürgerlichen Akteure dachten bei Gewalt an steinewerfende Antifas, verwiesen darauf, dass es die in Thüringen nicht gäbe (eine zweifellos zutreffende Beschreibung) und erklärten damit die Gewaltfrage für gelöst. Sollte die Thüringer Antifa-Szene also einmal die Stärke haben, dass sie sich etwa gegen polizeiliche Angriffe auf Demonstrationen wehren kann, ist hier eine instantane Entsolidarisierung zu erwarten. Die Antifa Suhl/Zella-Mehlis dagegen verstand unter der Gewaltfrage die strukturelle Gewaltförmigkeit kapitalistischer Verhältnisse und deren doppelten Ausdruck in der offenen Gewalt von Nazis und Polizei, eine Position, die offensichtlich beim übrigen Podium nicht verstanden wurde.
Die wichtigen Streitpunkte waren also durch das Podium aufgerufen, und es gilt zu hoffen, dass viele Einzelne sie in der Mittagspause, auf dem Heimweg oder sonst wann bedenken und im kleinen Kreis diskutieren. Was sich zeigte, ist, dass die Bündnisarbeit, wie sie derzeit in Thüringen (mal besser, mal schlechter) stattfindet und für die der Ratschlag selbst mit seinen weit über 50 als „Organisator_innen & Unterstützer_innen“ gelisteten Organisationen und Gliederungen selbst Ausdruck ist, zwar ein gemeinsames Ziel in der Abwehr des Schlechteren zum Grunde hat, aber aus der Not heraus entstanden und von ihr zusammengehalten wird. Sollte diese Bündnisarbeit jemals ernstliche Erfolge gesellschaftlicher Veränderung erzielen, wird sich ihr bürgerlicher Flügel gegen die, dann als intolerant, dogmatisch und gewaltaffin geltenden Antifas, richten. Diese Gefahr ist zwar leider nicht auf der Tagesordnung, kann im kleinen aber mit Entsolidarisierung gegenüber bestimmten Praxisformen jederzeit auftreten und sollte dementsprechend in die eigene Bündnisarbeit eingedacht werden.

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[1] Womit sich nicht auseinandergesetzt wurde, ist der strukturelle Sexismus der eigenen politischen Strukturen, der nicht zuletzt dadurch zum Ausdruck kam, dass das Podium rein männlich besetzt war, die Abschlussmoderation von einem Mann vorgenommen wurde und überwiegend Männer auf den Workshops ihr Wissen präsentierten.
[2] In Gänze ist der Podiumsbeitrag der Antifa Suhl/Zella-Mehlis hier nachzulesen: http://agst.afaction.info/index.php?menu=news&aid=610

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