Beim Erscheinen dieses Artikels sind die „neuen“ Montagdemos wahrscheinlich schon Geschichte, höchstens noch eine Randbemerkung im Kalender des Ordnungsamts. Georg Dorn wagt einen Blick zurück.
„Meine Meinung ist genauso falsch wie eure“ so begrüßte der Organisator der Montagsdemos, Richard H., in Erfurt sein Publikum. Und um eines vorweg zunehmen: dieser scheinbar selbstironische Satz sollte am Ende derjenige sein, der der ganzen Veranstaltung ihren Stempel aufdrückte. Außerdem hatte diese Aussage wahrscheinlich den höchsten Wahrheitsgehalt von allen Reden dieser Montagsdemo.
Dann begann die lange Litanei der Rechtfertigungen und Distanzierungen. Die Berichterstattungen der vergangen Wochen sind eben doch nicht spurlos an den Organisator_innen vorbeigegangen. Man sei ja gegen Nazis und gegen Verschwörungstheorien und überhaupt gegen jeden Extremismus verkündet der Organisator und die Zuhörenden applaudieren brav. Die jungen Punks mit Hund, die Ökoeltern mit Kind, die Eso-Tante im Batikkleid. Aber auch der Mann in der Thor Steinar-Jacke sowie der NPD-Ordner der noch zwei Tage zuvor bei einer Gegenkundgebung einem Genossen ins Gesicht getreten hat.
Alle sind vereint in der Unzufriedenheit mit den „kriegsvorbereitenden Politikern“. Wohl selten schien diese ominöse Querfront so nah, wie an diesem regnerischen Montag neben der Bratwurstbude am Anger.
Der Begriff Querfront stammt aus den 1930er Jahren und bezeichnet eine rechtsradikale Bündnisstrategie. In der Querfront sollen dogmatische Grenzen zwischen „links“ und „rechts“ überwunden werden um einen gemeinsamen Feind zu bekämpfen. Ein prominentes Beispiel für ein „strömungsübergreifendes“ Thema ist der „westliche Imperialismus“ – in der Gestalt der USA und Israel – die hier kritisiert werden. Auch bei den Montagsdemos ist die Kritik, vor allem an der Politik der USA, eines der verbindenden Elemente. Auch wenn es in der Geschichte einige Anläufe für eine Querfrontstrategie gab, sind bisher alle gescheitert.
Gegen jeden Extremismus
Aber hier geht es ja auch nicht ums „dagegen-sein“ sondern um das „für-etwas-sein“, wie der Organisator nicht müde wird zu betonen. Und dann begannen die Redebeiträge. Die Themen waren dann so bunt wie das Publikum. Von der GEZ über die Ukrainekrise zum Bedingungslosen Grundeinkommen zurück zur Direkten Demokratien und dazwischen immer wieder Distanzierung von den Nazis, die aber weiterhin ungestört im Publikum stehen. Ironischerweise klatschte besonders der Thor-Steinar-Träger auch immer am engagiertesten, wenn es gegen Nazis geht. Aber schließlich sind „Wir“ ja jetzt „alle für den Weltfrieden“ und für „mehr Liebe“ und „mehr Geld zum Leben“ oder manchmal auch „weniger Geld und weniger Konsum“.
Widersprüche wie diese gab es hier viele zu hören. Das ist auch nicht verwunderlich, wenn man ein offenes Mikrofon anbietet und Menschen sprechen, die das öffentliche Sprechen nicht gewohnt sind. Doch darum soll es hier eigentlich nicht gehen. Denn prinzipiell ist es ja erst einmal gut, wenn Menschen irgendwo ein Unrecht sehen und dann etwas dagegen unternehmen wollen. Auch wenn es nur heißt, sich zwei Stunden jede Woche auf den Anger zu stellen. Traurigerweise rutscht dieser Aspekt ein wenig hinter die Debatten der letzten Wochen. Natürlich ist es richtig, die Sprechenden und Zuhörenden zu kritisieren, wenn – nicht nur struktureller – Antisemitismus beklatscht wird oder den Verschwörungstheorien der Reichsbürger gelauscht wird, ohne diesen zu widersprechen. Aber das Erkennen, dass da etwas nicht richtig läuft und das Einsetzen für andere Menschen ist als erster Schritt durchaus richtig. Und mal Hand aufs Herz: Wahrscheinlich schauen viele politisch engagierte Menschen mit einem kleinen Schauder des Gruselns auf ihre eigenen Gedanken in den ersten Phasen ihrer Politisierung.
Problematisch ist jedoch der Umgang mit ihren Alltagsbeobachtungen mit denen dann die Reden bestückt werden. Nehmen wir das Beispiel der Ukrainekrise. Hier wird durch die meisten Redner_innen die NATO und die unausgewogene Berichterstattung der Medien kritisiert. Eigentlich zwei urlinke Themen. Doch warum fühlt es sich falsch an, wenn die Themen so aufbereitet auf die Montagsdemo kommen? Die Sache ist ganz einfach. Die Redner_innen bleiben nur auf der Stufe der Beobachtungen. Statt die Beobachtungen als Ausgangspunkt für weitere Recherchen und Analysen zu nutzen, verlieren sie sich in zweifelhaften Quellen, zitieren nur Mainstreamberichte wenn es in ihr (geschlossenes) Weltbild passt und verlieren sich in Andeutungen.
„googelt das mal!“
Und diese Andeutungen sind die Ursachen, warum die Montagsdemos schon jetzt einen so schlechten Ruf haben, den sie sich wahrlich verdient haben. Denn im Smartphonezeitalter muss man heute nur bestimmte Schlagworte fallen lassen und schon kann man beobachten, dass die Hälfte der Zuschauenden das Handy zückt und den Begriff bei Google eingibt. An den Mikrofonen wird kaum noch was Belastendes gesagt. Stattdessen werden Stichworte ins Publikum geworfen und anschließend das Mantra der neuen Bewegung wiederholt: „googelt das mal!“ Jede_r wird zur eigenen „Recherche“ aufgerufen und wer sich dann erstmal im dunkel-braunen Sumpf des Internets rund um Elsässer, Jebsen und Co verliert, kommt da kaum wieder raus. Denn Verschwörungsideologien bieten ganz einfache Antworten für die immer komplexere Zeit und noch besser: Jede Kritik an ihnen ist Teil der Verschwörung. Zwar weisen auch diese Theorien Lücken auf, aber für echte Verschwörungstheoretiker_innen sind das nur Nebelkerzen der Mächtigen.
Wahrscheinlich atmen viele der Zuschauenden innerlich sogar ein wenig auf: endlich gibt es wieder einen Feind auf den man böse sein kann. Oh, und auch in Erfurt kann man das schön beobachten. So distanziert sich einer der Redner während seiner gesamten Ansprache von neurechten Verschwörungen, doch nachdem er das Mikrofon verlassen hat, erklärt er jedem, der es hören will, wie viele Wahrheiten doch bei Elsäßer und Jebsen stecken. Aber „das darf man ja nicht mehr öffentlich sagen!“
Sicher, Verschwörungsideologien gibt und gab es schon immer. Auch in der linken und linksradikalen Szene. Aber gerade ist zu beobachten wie ein neuer Mainstream entsteht. Ein Mainstream, der zwischen Zentralsteuerungshypothesen und Verschwörungsideologien pendelt und dessen Wortführer hauptsächlich neurechte Spinner sind, die hier ein antisemitisches und völkisches Weltbild verbreiten.
Daraus resultiert jedoch die Frage: Warum werden diese anpolitisierten Menschen auf den Montagsdemos nicht durch linksradikale Inhalte und Aktionen erreicht? Schließlich sind das alles Themen, die seit Jahren in Lesekreisen, Politheften, Dissertationen und Demos kritisiert und diskutiert werden.
Meine Hypothese ist so ernüchternd wie simpel: Die Linksradikalen haben in den letzten Jahren nicht viel erreicht und sind in den Medien nur dann präsent, wenn mal wieder ein 1. Mai eskaliert oder eine Gegendemo in einem Hide-and-Seek-Spiel mit der Staatsmacht gipfelt. Dass es in der linken Szene mehr als das gibt, wird außerhalb der eigenen Kreise kaum noch wahrgenommen.
Die Spaltungen haben begonnen
Doch es gibt auch Grund zur Hoffnung. Denn die Leute auf den Montagsdemos sind kein homogener Haufen. Sobald sich der Sturm im Wasserglas – ausgelöst durch die Berichterstattung in den so geschmähten Mainstreammedien – gelegt hat, werden auch die Montagsdemos nicht mehr hunderte Menschen anziehen. Und sobald die Montagsdemos mehr sein wollen als ein offenes Mikrofon für all die Wütenden und Hilflosen, werden sie sich spalten und spalten und spalten. In Erfurt hat dieser Prozess begonnen. Denn das Erfurter Orga-Team hatte angefangen sich von der Berliner Montagsdemo zu lösen. Daraufhin schrieb der deutsche „Anonymous“-Account auf Facebook eine wütende Stellungnahme gegen das Erfurter Organisationsteam. In diesem Beitrag, der über eintausendmal bei Facebook geteilt wurde, wird das Orgateam als „Antifa-Privatarmee des Verfassungsschutzes“ „entlarvt“ und gleichzeitig verkündet, dass die alten Organisator_innen von „engagierten Erfurter Bürgern“ aus der Stadt gejagt wurden. Leider haben das die betreffenden Personen wohl nicht mitbekommen. Denn nun stehen sie Dienstags am Anger und organisieren eine „unabhängige Friedensdemonstration“.
Also gibt es nun eine neue neue Montagsdemo. Die haben sich als Stargast gleich Jürgen Elsässer, Herausgeber des querfrontlerischen Verschwörungsblättchen „Compact“, eingeladen und konnten sich so der Aufmerksamkeit der verhassten Massenmedien sicher sein. Damit steht das neue Erfurter Orga-Team sogar noch weiter im Verschwörungslager als das Berliner Original. Denn Lars Mährholz und Co laden Elsässer nun schon länger nicht mehr ein. Doch Elsässer schwadroniert in Erfurt lustlos und gegen die Sprechchöre der Gegendemo. Sein Thema ist mal wieder eine Mischung aus Antiimperialismus und Bankenschelte, gewürzt mit dem Allheilmittel Schweiz und abgerundet mit einen positiven Bezug auf das Volk. Ein wenig braver Beifall, sehr viel lauten Gegenprotest und eine Gegenkundgebung, die auf der anderen Straßenseite eine Überraschung bereit hielt. Dort standen nicht nur die Antifas, die schon seit Wochen die Montagsdemos kritisch begleiten, sondern an ihrer Seite auch die Organisator_innen der alten neuen Montagsdemo. Beim alten Organisationsteam hat das kritische Hinterfragen der Montagsdemos also schon begonnen. Vielleicht kann so aus der „falschen Meinung“ des Richard H. doch noch eine reflektierter Haltung erwachsen. Man möchte es ihm wünschen.