Editorial
Die Uni Bielefeld versucht seit den 2000er-Jahren herauszubekommen, warum so viele Deutsche ihre Nachbarn totschlagen. Früher sagte man, das liege am Faschismus und am Rassismus. Aber Faschismus und Rassismus sind hässliche Wörter, sie erinnern an die Geschichte und daran, dass auch der Staat manchmal die besagten Nachbarn schikaniert, herumschubst und abschiebt. Also hat die Uni Bielefeld den Begriff der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit erfunden, kurz: GMF. Antirassistische Projekte können damit z.B. Mittel beantragen, ohne von Rassismus zu reden. Politiker_innen können begründen, wieso es Projekte gegen Nazis geben muss, ohne Faschismus in den Mund zu nehmen. Bildlich ausgedrückt könnte man sagen: Mit GMF muss man im Hause des Henkers nicht mehr vom Strick reden und kann trotzdem die Hinrichtung kritisieren. Auch die Lirabelle erhält Fördermittel, um gegen GMF einzutreten.
Seit 2010 fällt die Ablehnung von Langzeitarbeitslosen unter GMF. Wir warten nun gespannt auf die ersten Sitzblockaden vor der ARGE, flankiert von Outings besonders menschenfeindlicher Sachbearbeiter_innen. Auch wird es Zeit, den Aufgabenbereich der Mobilen Beratung und der Opferberatung auf Betroffene von Sanktionen der Ämter auszudehnen oder dafür neue Beratungsteams zu schaffen. Die Lirabelle macht in dieser Richtung den Anfang und druckt in dieser Ausgabe als Teil ihres Engagements gegen GMF einen Vorschlag zum Umgang mit Eingliederungsvereinbarungen.
Die Texte über das Leben der Rroma und Homophobie in der Ukraine haben im engeren Sinne mit GMF zu tun, der Text über Naziaufmärsche und den Volkstrauertag sowieso. Dass eine Gesellschaft dabei zusieht, wie Menschen auf der Straße erfrieren, während Häuser leer stehen, ist natürlich ebenfalls GMF, wie man sich gegen die menschenfeindlichen Verhältnisse am besten organisiert und welche Rolle dabei Utopien spielen, sollte auch passen.
Und wo es nicht passt, sagen wir einfach mal: Im Kern geht es uns darum, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist. Wenn das mal nicht gegen GMF ist!
das Redaktionskollektiv der Lirabelle.
Inhalt
- News
- Das Leben der Rroma
Von der Redaktion angefragt, einen Text über die Situation von Rroma in Thüringen zu schreiben, fielen mir gleich ganz viele Sachen ein, die ein eher düsteres Bild auf die BRD werfen würden. Für mich wäre es logisch gewesen, über die katastrophalen Zustände in der Erfurter Ausländerbehörde, wo die Bediensteten auch nicht mehr als Deutsch können, zu berichten. Oder über die mit Textbausteinen auskommenden Ausreiseaufforderungen, wo verlangt wird, die BRD innerhalb einer Woche zu verlassen. Aber klar ist, dass mein Blick auf die Situation anderer Menschen nur sehr eingegrenzt sein kann. Deshalb hab ich mit drei Rroma aus Erfurt gesprochen. S, A und D möchten anonym bleiben. Vor dem Interview regten sie an, den Titel dieses Beitrages abzuändern. Deswegen geht es in diesem Text um das Leben der Rroma. Ein Beitrag von Davina Bohne. - Die Revolution von Rojava und die Selbstverwaltung
Ercan Ayboga über eine Delegation der Kampagne „Tatort Kurdistan“, die im Mai 2014 selbtverwaltete Gebiete in Nordkurdistan besucht hat. - Es wird Herbst im Ignorantenstadl
Ox Y. Moron wirft einen Blick auf die nächste Auflage eines der größten regelmäßigen Naziaufmärsche in Thüringen. Zum Volkstrauertag am 16. November 2014 jährt sich das „Heldengedenken“ in Friedrichroda zum 12. Mal. - Konzept offene Basisgruppe
Gruppe Pekari über szenige Exklusivität und den eigenen Organisierungsprozess - „THIS is Propaganda – Yeah! Yeah! Yeah!“*
* So lautete die Aufschrift eines selbstironisches Plakats bei einer einer Hausbesetzung am 1. und 2. Juli in Jena, die Jens Störfried im Folgenden illustriert und interpretiert. - Neues aus der ARGE – Auf dem Weg zur Selbstermächtigung
Yvettes letzter Beitrag in der Lirabelle #2 „Auf dem Weg zur Selbstermächtigung“ scheint doch zuweilen Zuspruch gefunden zu haben. Jedenfalls wurde dieser des öfteren zum Gesprächsthema in verschiedenen sozialen Zusammenhängen. Und es wurde gar gemunkelt, dass er als Beispiel für Interventionsstrategien in einem Vortrag an einer mir nicht näher bekannten Berliner Hochschule benutzt wurde. Schließlich wollten einige Leserinnen wissen, wie es weiter ging. - Utopien zwischen Freiheit und Ordnung
Das Biko und Freund_innen im Gespräch über Utopien, politische Perspektiven und die Revolution. - „Propaganda der Homosexualität“
Alexander Amethystow über eine Debatte in der Ukraine – vor und nach Maidan - Rezension: „Ich – das sind die andern“
Eine Rezension über das unsterbliche Kind der Armen von Franziska. - There is something in the rain
Ein Bericht zum Hausfest in Gotha von Thüringen-Punk. - Flanieren im Schweinesystem
Hier spricht Stanley Schmidt. Guten Tag! - Aluhut-Chroniken II: König von NeuDeutschland