Karriere schaffen ohne Waffen

Ox Y. Moron geht den antimilitaristischen Attitüden und antiemanzipatorischen Vorstellungen einiger Jungpolitiker der Linkspartei nach.

Zur ersten Neuauflage eines Erfurter Ostermarsches, neben und nach dem traditionellen Thüringer Ostermarsch in Ohrdruf, hatte die Thüringer Linksjugend aufgerufen. Ca. 100 Friedensaktivisten aus dem Umfeld von Linkspartei, MLPD, DKP und deren Nachwuchsorganisationen haben sich am Nachmittag des Ostersamstages auf dem Fischmarkt in Erfurt eingefunden und lauschen den kratzigen Lautsprechergeräuschen. Nach einem Redebeitrag der Organisatoren geht es los Richtung Anger. Immerhin hätte man viele Leute erreichen können, wäre die Anlage nicht so beschissen gewesen. Während sich die meisten Passanten ohnehin nicht beim Shoppen stören lassen, schimpft ein Mann mittleren Alters über die Kommunistenschweine – was weniger bitter wäre, wenn es denn stimmen würde. Der Redner der Linksjugend auf dem Anger übt sich im Freisprechen – wichtiges soft skill für die kommende Parteikarriere – und wird dabei von einigen aggressiven Jugendlichen bedrängt. Zwischendurch gibt es Live-Musik-Beiträge eines Rappers. Der Redner der SDAJ weiß von einem Putsch der Imperialisten gegen die Ukraine zu berichten und nutzt die Aufmerksamkeit für einen Wahlaufruf für das Mutterschiff DKP. Weiter geht es Richtung Bahnhof, wo unter anderem ein aufgehetzter Redner der Weimarer Linksjugendgruppe das Wort ergreift und weniger mit Argumenten als mit agitatorischem Nachdruck zu überzeugen sucht. Die Demo endet am Logistikzentrum der Bundeswehr, dem Anlassgeber der Veranstaltung, im Erfurter Süden und mit einem weiteren Beitrag der Linksjugend.
Um jeden Stuss, den die Redebeiträge und der Aufruf versammeln, zu beleuchten, reicht der Umfang eines Lirabellen-Artikels nicht aus. Es fällt ohnehin schwer einen Aufruf zu kritisieren, in dem kaum ein Argument zu finden ist und der sich liest wie ein Pamphlet des DDR-Staatsapparates aus der Abteilung Agitation und Propaganda. Der erzeugte Gesamteindruck ist der folgende: Wir (die Arbeiterklasse und kämpfende Jugend) gegen Die (Kriegstreiber, Imperialisten, Großkapitalisten, herrschende Politik, Völkermörder). Jeder Auslandseinsatz der Bundeswehr ist ein Krieg (sei es mit 2 Soldaten in der Westsahara oder mit 14 im Südsudan beim UN-Blauhelmeinsatz) und dieser nützt nur den Herrschenden, die sich mit der Kriegsbeute ihre Taschen füllen, während die geschundene Arbeiterklasse das Kriegsgerät bezahlt. So einfach ist die Welt. So geht Nationbuilding auf Links – intuitiv weiß das Volk, dem man sich an den Hals schmeißt, schon bescheid; jetzt müssen nur noch die Merkels und Lieberknechts gegen die Gysis und Ramelows ersetzt werden, dann läuft‘s. Fortschrittlich ist an dieser Linken gar nichts. Erfreulich daher, dass sich auf der Unterstützerliste des Aufrufes keine linksradikalen Gruppen finden. Im Folgenden schaue ich mir ein paar der Forderungen/Analysen genauer an.

Zerschlagung der NATO

Die Abschaffung der Bundeswehr fordert die Linksjugend nicht. Zwar gibt es gute Gründe, warum die deutsche Armee abgeschafft werden sollte, warum die Wiederbewaffnung Deutschlands rückgängig gemacht werden müsste. Darum geht es der Linksjugend aber nicht, sie möchte ihr bloß Einsätze im In- und Ausland untersagen. Wozu man eine restlos kasernierte Armee braucht, wer weiß das schon. Auch bei der Linksjugend herrscht in dieser Frage eher Ratlosigkeit.
Dass ausgerechnet deutsche Linke aber die Zerschlagung der NATO fordern, also den Westteil der ehemaligen Alliierten, ist erklärungsbedürftig, nicht bloß, weil die Integration der Bundesrepublik ins Militärbündnis ein Hindernis für neuerliche deutsche Sonderwege ist. Möglich, dass die jungen engagierten Aufsteiger die Forderung aus der mehrheitlich antiamerikanischen Mutterpartei „Die Linke“ übernommen und radikalisiert haben und sich nichts weiter dabei dachten. Da fordern also Linke, denen Auschwitz in ihren Friedensmahnungen kein Begriff mehr ist, die Zerschlagung eines Nachkommen der Anti-Hitler-Koalition, dessen größte historische Leistung der Bruch des deutschen Vernichtungswillens war – und zwar mit Bomberflotten und Panzerverbänden. Jede vernünftige wie berechtigte Kritik der NATO1 hat sich ihrer Geschichte und deren fortbestehenden Bedingungen zu stellen. Die Linksjugend dagegen gebiert sich stattdessen als besserer Souverän im Wartestand, will Deutschland aus der NATO holen und das „Kriegsbündnis“ zerschlagen.
Wer sich derart ins Jammertal reformistischer Realpolitik begibt, die Zerschlagung der NATO fordert und sich gewiss ist, dass Krieg die kapitalistische Ungerechtigkeit nicht beseitigt, von dem darf man Vorschläge erwarten, wie die Entwicklung der Welt ohne NATO und westliches Kriegsgerät aussieht. Mit gut gemeinten Gesten und lieben Worten wird der Kampf islamistischer Djihadisten gegen „Ungläubige“ und die geplante Ausrottung des „Krebsgeschwür Israel“ durch das iranische Regime nicht zu stoppen sein. Statt die in der internationalen postnazistischen Konstellation schlummernde Gefahr zu identifizieren und realpolitisch etwa die Erweiterung der NATO um Israel anzuregen, will man das Bündnis „zerschlagen“. Als würden die historischen Missetaten der NATO-Mitglieder enden, wenn das Bündnis verschwindet, das die einzelnen Armeen vereint. Darauf wollte Moishe Postone hinaus als er 1985 in einem Brief an die deutsche Linke mahnte, die Ablehnung der NATO könne nur progressiv sein, wenn sie mit der Schaffung ganz anderer Verhältnisse in Deutschland einhergeht. Aber der Linksjugend geht es gerade nicht um ganz andere Verhältnisse, um die radikale Abkehr von der traditionell-deutschen Ablehnung des Westens. Sie besinnt sich vielmehr auf deutsche Tugenden, möchte die eingesparten Militärkosten in Ausbildungs- und Arbeitsplätze investieren – mit anderen Worten: in friedlich organisierte Ausbeutung. Der Hass auf die NATO eint die Thüringer Friedensaktivisten mit der gesamtdeutschen Friedensbewegung, deren Ruf nach Frieden nicht Produkt vernünftiger Überlegung, sondern Obsession war.
Für Gesellschaftskritik, die diese eindringend begreift, ist ebenso wenig Platz beim Karriererummel der Linksjugend wie für die Solidarität mit dem (nicht bloß) durch die iranische Bombe in seiner Existenz bedrohten Israel. Keine Erwähnung findet der antisemitische Furor in den Reden der Friedensaktivisten und das ist vielleicht auch besser so. Was Leute, die in ihrem Aufruf den Antizionisten Holger Burner zitieren, zu sagen hätten, sollen sie lieber für sich behalten.

Militärische Absicherung ökonomischer Interessen

Freilich sichern die mächtigen Staaten ihre ökonomischen Interessen militärisch ab und möglicherweise ist die aktuelle Krise eine Phase militärischer und geopolitischer Restrukturierung, möglicherweise geht es in Zukunft wieder mehr um die militärische Sicherung von Territorien und deren knapper werdenden, härter umkämpften Rohstoffen.2
Die Notwendigkeit in einer kapitalistischen Gesellschaft Wachstum zu generieren, wird aber nicht durch Panzer in die Welt gesetzt, sondern bloß abgesichert. Deswegen nützt die bloße Forderung nach Abrüstung nichts und dass der Linksjugend ein paar Orte einfallen, wo das Geld besser aufgehoben ist, überrascht ebenso wenig wie die Tatsache, dass man aus dem Verteilungsspiel keinen Ausweg sucht – den besseren Kapitalismus statt seine Aufhebung im Sinn hat. Diese Aufhebung der kapitalistischen Vergesellschaftungsweise muss der Abrüstung aber vorangehen, wenn die durch den Kapitalismus in die Welt gesetzte Gewalt einmal enden soll. An einem Verständnis dieser Vergesellschaftungsweise mangelt es den Friedensbewegten der Linksjugend aber. Sie wollen an allen Stellen bloß Verantwortliche finden und zur Rechenschaft ziehen. Ihre Straflust richtet sich auf die Herrschenden, das austauschbare Personal einer mörderischen Ordnung, für die abstrakte kapitalistische Herrschaft sind sie blind: „Es müssen den Kriegstreiber*innen die Hände zerschlagen werden, denn sie führen Kriege und bereiten noch größere vor.“ (aus dem Aufruf) Die Charaktermasken des Kapitals will die Linksjugend also verstümmeln. So macht sich glaubhaft, wer gegen (militärische) Gewalt demonstriert.

Aktualität des deutschen Imperialismus

Der Kapitalismus im Normalvollzug bewegt sich scheinbar friedlich. Vor allem in den Metropolen ist es der stumme Zwang der Verhältnisse, der dafür sorgt, dass sich die verdinglichten Subjekte in den Formen der kapitalistischen Vergesellschaftung zu Hause fühlen und ihnen Kriege herzlich egal sind, wenn sie nur weit genug weg vom Gartengrill stattfinden. Diese Kriege finden i.d.R. in der kapitalistischen Peripherie statt. Kriegerische Gewalt, soweit sie ökonomisch motiviert ist, beginnt eben da, wo die Inwertsetzung nichtkapitalisierter Terrains und Ressourcen nicht ohne unmittelbare Gewalt zu machen ist. Mit anderen Worten: Kriege wird es geben, solange es den Kapitalismus gibt, „weil er expandieren muss, sich Märkte, Rohstoffe und fremden Mehrwert aneignen, Investitionen, Transportwege und Sklavenarbeit militärisch sichern muss.“ (Rainer Trampert) Das hat aber mit dem historischen Imperialismus und dessen territorial orientierter Herrschaft nicht mehr viel zu tun und wird von marxistischen Theoretikern heute mit dem auf Rosa Luxemburg zurückgehenden Begriff der „Landnahme“ oder der „globalen Einhegung“ gefasst. Beide müssen nicht, können aber durch militärische Gewalt ins Werk gesetzt werden.
Die Kritik der Linksjugend am deutschen Imperialismus ist ein billiger Anachronismus, Produkt unterlassener Gesellschaftskritik. Von den zwölf Jahren des Nationalsozialismus abgesehen, war Deutschland nie ein großer imperialistischer Akteur3 und heute sichert die Bundesregierung die ökonomischen Interessen Deutschlands erst recht nicht mehr vorrangig durch Militär geschweige denn arbeitet sie an einer territorialen Expansion. Die Absicherung deutscher Interessen schlägt sich etwa in der europäischen Troika-Politik nieder, in der Gängelung Griechenlands unterm Spardiktat oder ganz allgemein in der ohne unmittelbare Gewalt von statten gehenden Sicherung neuer Absatzmärkte für VW und Siemens. Dann bleibt aus der verengten antimilitaristischen Perspektive nur noch der Export von Waffen und diese Kritik ist so zahnlos wie der Bundesadler. Kaufen die kriegstreibenden oder sich für den Krieg rüstenden Staaten ihre Waffen nicht in Deutschland, kaufen sie sie woanders. Die Konflikte verschwinden nicht, wenn Deutschland nur noch Blumen exportiert, weil die deutsche Friedensbewegung ihre moralische Brüskierung zur Konsequenz gebracht hat.

Krieg ist Krieg

„Kein Panzer steht für Frieden!“ So verkünden es die Organisatoren des Ostermarsches auf ihrer Homepage und stoßen in das selbe Horn, wie die Bildzeitung, die die Panzer der Roten Armee aus dem sowjetischen Ehrenmal in Berlin entfernen will und deswegen eine Petition startete. Man sei immerhin „gegen jeden Krieg“, bekundet der Redner der Linksjugend auf der Abschlusskundgebung. Krieg wird entkontextualisiert. So fällt dem Redner der Linksjugend in Anspielung auf die deutsche Geschichte, den Nationalsozialismus, nichts anderes ein, als auf die Leiden hinzuweisen, die der Krieg bei der Zivilbevölkerung hervorgerufen hat. Nicht die Bedingungen, die zum Krieg führten, nicht der gesellschaftliche Antisemitismus und sein Fanal oder gar die krisenhafte kapitalistische Verwertungsmaschinerie sind das Problem. Das Problem ist der Krieg. Ausbeutung, Sicherung von Rohstoffen und Märkten sowie ein Antisemitismus ohne Krieg gehen in Ordnung.
Aber Krieg ist eben nicht gleich Krieg, auch wenn die Linksjugend zu wissen meint, dass jeder Krieg „einzig und allein den Interessen der Herrschenden, kapitalistischen Interessen dient“ (aus dem Aufruf). Die Linken, die heute für den Frieden mahnen, machen vergessen, dass es Schlimmeres gibt als den Krieg (namentlich die Vernichtung von Wehrlosen in den deutschen Konzentrations- und Vernichtungslagern), Übel nämlich von denen nur eine starke Armee befreit: „Die Armee als wirklichen Befreier und den Krieg als wahren Sachverwalter und Vollstrecker der Menschlichkeit in die Weltgeschichte eingeführt zu haben, ist das verhängnisvolle Verdienst dieses Landes.“ (Pohrt) Die Deutschen, die diese Erkenntnis verleugnen, arbeiten an der Entsorgung der eigenen Vergangenheit und der Verdacht liegt nahe, dass die Zerstörung der NATO die Erinnerung an das vergessen machen soll, was sie einmal nötig gemacht hat.4
Wer nach dem Krieg Nazideutschlands gegen die Welt und dem Krieg der Alliierten gegen Nazideutschland immer noch behauptet, Krieg sei eben Krieg, der soll mir erklären, welche bloß kapitalistischen Interessen (bei der Linksjugend verstanden als ökonomische) die Bundeswehr 1999 im kargen Jugoslawien verteidigt hat? Um Ressourcen ging es wohl kaum und lukrative Absatzmärkte für deutsche Produkte befinden sich in China und Indien und nicht in Serbien und Kroatien. Auch die Konflikte in anderen Teilen der Welt sind nicht allein durch die Logik kapitalistischer Absicherung von Ressourcen und Absatzmärkten oder etwa geopolitische Interessen zu erklären. Der arabischen Front gegen Israel geht es keineswegs um das nicht vorhandene Öl unterm Strand von Tel Aviv. Die Bürger- und Bandenkriege in Syrien, Somalia, im Südsudan und anderen Teilen der Welt mögen ökonomische Interessen in der Region stören, sie verschwinden aber nicht, wenn das ausländische Militär verschwindet. Gegen diese Konflikte, die sich nicht allein aus konkurrierenden Kapitalinteressen erklären lassen, hilft kein abstrakter Pazifismus und der sich am Hass auf die NATO entzündende, verschwörungstheoretisch angehauchte Antiamerikanismus erst recht nicht.
Die friedenspolitische Realpolitik der Linksjugend ist antiemanzipatorisch. Nun kann es freilich sein, dass dieser Ostermarsch bloß Vorwand junger, karriereorientierter Parteigänger war, die mit der Organisation ihre Eignung für die große politische Bühne unter Beweis stellen wollten und der Inhalt der Veranstaltung eher nebensächlicher Art war, weil die Jungpolitiker intuitiv wissen, dass man mit Idealen vielleicht in die Institution hinein kommt, aber drinnen der Sachzwang das Sagen hat. Dann tut es mir leid, mit diesem Unsinn meine Zeit verschwendet zu haben.

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1
Eine solche könnte etwa darin bestehen, dass in vielen Teilen der Welt die NATO-Staaten die heute regierenden Schurken erst an die Macht brachten. Oder darin, dass eine wachsende Betätigung der NATO in der Unterstützung von Grenzregimes und der Eindämmung von Migrationsströmen besteht.

2
Jörn Schulz legt in der Jungle World eine solche Deutung des Ukraine-Konflikts nahe: http://bit.ly/1st6xyz

3
Und auch hier käme eher ein vulgärer Imperialismus-Begriff zur Geltung. Dass der nationalsozialistische Vernichtungskrieg als ein imperialistischer begriffen werden kann, ist nämlich keineswegs ausgemacht. Vor allem im Osten beruhte er nicht darauf, sich Ressourcen und Märkte zu sichern, sondern alles kurz und klein zu schlagen. Die Deutschen wären selbst im Siegesfall nicht in der Lage gewesen ein System zu etablieren, dass auf Produktion basierte, sondern auf Zerstörung, Vernichtung. Für die geplante Großraumwirtschaft der Deutschen existierten keine funktionsfähigen Konzepte. Die Deutschen waren „ordinäre Banditen […], die morden, brandschatzen und plündern können, aber unfähig sind, die Produktion und überhaupt ein geregeltes Leben zu organisieren.“ (Pohrt)

4
Im Grunde ist es den Deutschen zu verdanken, dass sich die USA als bündnisführende Ordnungsmacht in der Welt in Stellung gebracht haben. In den USA regelte die Monroe-Doktrin über Jahrhunderte hinweg die Nichteinmischung Amerikas in europäische Angelegenheiten. Das letzte Militärbündnis der USA vor 1941 stammte aus dem Unabhängigkeitskrieg im Jahre 1778 (damals mit Frankreich gegen Großbritannien).

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