There is something in the rain

Ein Bericht zum Hausfest in Gotha von Thüringen-Punk.

Seit nun mehr fünf Jahren gibt es das Ju.w.e.l. in der Gothaer Hersdorfstraße. In dieser Zeit konnte ein Raum geschaffen werden, in dem sich Menschen treffen und sich auf verschiedene Art und Weise zusammentun können. Dabei ist so ein Hausprojekt  städtischen Vertreter_innen, Nazis und dem Staat ein Dorn im Auge.
Das fünfjährige Bestehen, in dem es immer wieder Angriffe von Polizei und Nazis auf das Projekt gab, wurde am 23. August gefeiert. Mit dem dritten Hausfest konnten die Menschen aus dem Ju.w.e.l. rund 400 Menschen nach Gotha holen, wobei Menschen extra aus Leipzig und anderen Städten angereist waren.
In Gotha ist sonst nix los…
Schaut man sich die ehemalige Residenzstadt Gotha einmal an und schlendert durch die Straßen, bemerkt man schnell, dass man entweder in der Innenstadt voller Geschäfte, Boutiquen und Museen ist, oder in den Wohngebieten voller grauer Blocks steht. Bis auf das ein oder andere alte Gemäuer ist Gotha genau so beschissen, wie jede andere Stadt. Nun gut, für einige mag es ausreichend sein, sich mit Shopping in der Innenstadt und historischen Gebäuden zu begnügen, jedoch ist es für viele, gerade junge Menschen nicht sehr ergiebig sich in einer solchen Stadt einen Raum für ihre eigenen Ideen zu suchen, zumal diese Stadt genügend Nazis in der Innenstadt aufweisen kann. Zwar hatte Gotha immer irgendwie den Ruf, die Stadt des Punkrock in Ostdeutschland zu sein, jedoch gab es bis auf ein paar vereinzelte Konzerte, nie einen festen Anlaufpunkt.1
Mittlerweile finden mehrmals im Monat Konzerte und Partys statt, werden Vorträge organisiert und eine „Küche für Alle“ auf die Beine gestellt und einmal im Jahr im August wird sich, und in diesem Falle ist es sicherlich auch angebracht, selbst gefeiert. Wie auch schon in den letzten Jahren gab es beim diesjährigen Hausfest verschiedene Angebote. Wer wollte, konnte sich an den Wänden im Garten oder Haus mit Marker und Dose betätigen.
Dabei bietet das Ju.w.e.l. nicht nur beim Hausfest eine Betätigungsmöglichkeit für Sprayer, oder diejenigen die es werden wollen, sondern bietet seit mehreren Monaten, wie wir bereits auf unserem Blog berichteten, einen Graffiti Workshop an. Dort haben Sprayer die Möglichkeit, sich auszutoben und sich in Ruhe zu betätigen, ohne dabei auf städtische Programme angewiesen zu sein, die an einigen Ecken Graffiti in Auftrag geben um z.B. graue Wände bunter zu gestalten. Im Gegensatz dazu geht es den Menschen aus dem Ju.w.e.l. nicht darum „illegales Graffiti“ einzudämmen und vermeintliche Alternativen zu bieten, die letztendlich nur dazu dienen günstig die eigene Stadt zu verschönern und das eigene Image ein wenig aufzupolieren. Viel mehr ist das Ju.w.e.l. ein Ort, an dem man sich ausprobieren kann, um seiner Kreativität freien Lauf zu lassen.
Neben Graffiti gab es auch verschiedene andere Workshops, wie z.B. einen Siebdruckworkshop von Radical Print, wo sich interessierte Menschen für schlappe zwei Euro einen Jutebeutel mit dem Logo des dritten Hausfestes selbst herstellen konnten. Ebenfalls gab es zwei Vorträge im Programm, einen Vortrag der Soligruppe um Josef und ein andere, der sich mit den Protesten zur Einheitsfeierlichkeit am 3. Oktober in Hannover beschäftigte. Besonders im ländlichen Raum, wie Thüringen, ist es dabei keine Selbstverständlichkeit einen Raum nutzen zu können, der auch Platz für Diskussionen bietet, die sich nicht nur um „Demokratie und Toleranz“ drehen2. Schon von Anfang an gab es verschiedene politische Infoveranstaltungen und Vorträge, die sich mit unterschiedlichsten Themen auseinandersetzten. Sei es eine Mobiveranstaltung zur Antifa Demo gegen den Burschentag oder ein Vortrag zum Thema Postnazismus. An diesem Tag besuchten rund 40 Menschen die beiden Vorträge. Da der Vortrag der Soligruppe von Josef leider etwas später startete und die Bands drin bereits spielten, fiel eine Diskussion im Anschluss leider aus. 
Wie bereits angesprochen, findet in Gotha auch wöchentlich die „Küche für Alle“ statt und dort, wie auch beim Hausfest, gibt es eine vegane Variante und eine Variante mit Fleisch. Genau dies sorgte beim Hausfest für einige Kontroversen, weil einige Menschen entsetzt waren, dass es richtige Bratwürste aus Fleisch gab und andere freudestrahlend am Grill darauf warteten, bedient zu werden. Jedoch ist das wohl eine Sache, wo sich lange darüber streiten lässt und es wohl auch schwer sein würde, einen Konsens zu finden. Jedenfalls musste niemand hungern.
Raus aus dem subkulturellen Sumpf
Neben den zahlreichen Aktivitäten gab es auch ein Line Up, welches Punkrock, Powerviolence, Hip-Hop, Electropunk und noch viel mehr abdeckte, was dazu führte, dass es keine reine Punkveranstaltung war und so gesehen war das Line Up auch repräsentativ für die Breite der musikalischen Veranstaltungen, die den Rest des Jahres im Ju.w.e.l. stattfinden. Es ist eben kein reiner „Punkrockschuppen“, sondern bietet genau so gut Platz für Hip-Hop Jams, Electro-Partys, Hardcoreshows und Metal-Konzerte. Sicherlich gibt es bei allen den genannten Veranstaltungen und Konzerten genug Idioten, die in ihrem eigenen Szenemief bleiben wollen und sich gerne gängiger Klischees bedienen. So kommt es vor, dass Menschen aufgrund ihres Aussehens oder bevorzugter Musik beschimpft und tätlich angegangen werden. Leider ist auch das Ju.w.e.l. vor solchen Menschen nicht verschont geblieben, jedoch gibt es vor Ort Leute die sich darum kümmern, dass solches Verhalten bestmöglich unterbunden wird und alle einen guten Abend haben können.
Generell, und so spiegelte es sich auch beim Publikum zum Hausfest wieder, ist es vollkommen egal, ob man sich nun irgendeiner Jugend- oder Subkultur zuordnet oder nicht; es ist für alle eine gute Möglichkeit zusammen zu feiern und sich auszutauschen. Was jedoch nicht geduldet wird, ist menschenverachtendes Verhalten, wenn also Menschen aufgrund ihrer Sexualität, Geschlecht, Hautfarbe usw. angemacht werden. Für Menschen, die von den Übergriffen solcher Idioten betroffen sind, wurde extra durch mehrere Schilder verwiesen, dass es genug Leute von der Orga-Crew gibt, die weiterhelfen können und die Idioten von der Veranstaltung schmeißen werden. Schade, dass es so etwas bedarf.
Es ist in Gotha also ein Raum entstanden, in dem es zumindest möglich sein kann, sich auf verschiedene Art und Weise untereinander auszutauschen und auf verschiedene Jugend- und Subkulturen zu treffen um sich zu vernetzen, wobei klar ist, dass sich die Menschen vor Ort klar gegen Nazis und menschenverachtende Ideologien aussprechen.
An diesem Tag spielte leider das Wetter nicht mit, weshalb sich die Besucher mehr im Haus oder unter provisorischen Zelten verschanzten. Das führte dazu, dass der Bereich vor der Bühne im Außenbereich eher weniger zum Tanzen diente. Sogar die ausgelegten Teppiche, die vor dem Schlamm schützen sollten, wurden schnell Eins mit dem schlammigen und rutschigen Rasen. Für einige Punks war es hingegen das perfekte Wetter um sich betrunken in den Schlamm zu schubsen. Später schrieb „Das Flug“, eine Electro-Punkband, über den Auftritt von Kaput Krauts, dass sie das Hausfest gerockt hätten. Dazu ein Bild, wie bei strömenden Regen niemand vor der Bühne steht. Auch wenn das Publikum nicht mit der Situation umgehen konnte und eher durch Passivität glänzte, so hielten Kaput Krauts weiter durch und versuchten das Beste aus der Show zu machen. Während also im Garten das alternative Oktoberfest in Gotha3 unter Zelten und mit Bierzeltgarnitur ablief, zwängten sich um so mehr Menschen in den Konzertraum innerhalb des Hauses. Dort gab es dann Powerviolence vom Feinsten. Besonders Derbe Lebowski, die bereits zur Antifa-Soli-Party im Mai einen guten Abriss m Ju.w.e.l. veranstalteten, lieferten einen guten Auftritt ab. Mit Roni87 gab es für die Hip-Hop Begeisterten den richtigen Act. Mit einer Mischung aus eigenen Liedern und Freestyle, zum Teil gemeinsam mit Leuten aus dem Publikum, politischen sowie persönlichen Texten wurde der Raum brechend voll.  Wie bereits erwähnt spielte „Das Flug“ und schaffte es tatsächlich als Hauptact bei Schlamm und Regen jede Menge Besucher zum Tanzen zu bewegen. Einige nahmen „Allez muss in Flammen stehen!“4 sehr ernst und entzündeten auf dem Dach Bar im Garten mehrere Bengalische Fackeln. Das Ganze natürlich vermummt und mit wehender Antifa-Fahne. Für manche zu dick aufgetragen, war es trotzdem schön anzusehen und ab und zu kann man sich ja auch mal selbst feiern, wenn statt Bullen oder Nazis mal nette Leute vor dem Haus in Gotha stehen.  

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1
Der Ruf ist wohl hauptsächlich der Band Schleimkeim zu verdanken, jedoch verzichten wir an dieser Stelle auf „In Gotha da gibt’s nen Laden…“ Textstellen, da es mittlerweile einfach nervt, dieses Lied im Bezug auf das Ju.w.e.l. zu singen.   
       
2
An dieser Stelle meinen wir, dass es einen Raum gibt, der nicht davon abhängig ist, ob er von „Demokratie und Toleranz“-Staatsvereinen gefördert wird.

3
Sorry, aber Zelte, Würste und Bier erinnern schon sehr an ein deutsches Bierfest und dabei dachten wir, die „Antifaschistische Aktion Gotha“ will, laut ihren Aufklebern, „Deutsche Zustände angreifen!“.

4
Eine Textstelle aus dem gleichnamigen Lied von „Das Flug“.

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