Großevents – der Linken liebstes Kind

Mona Alona widmet sich in ihrem Text der Frage nach der Motivation an linken Großevents teilzunehmen, indem sie versucht, ihre eigenen Beweggründen an ausgewählten Aktionen teilzunehmen, zu ergründen.

Frankfurt 18. März, Garmisch-Partenkirchen 3.-7. Juni, Berlin 21. Juni – hatte ich nichts anderes, sinnvolleres zu tun, als mir diese und andere antikapitalistischen Events anzuschauen? Wusste ich nicht zuvor schon, was mich jeweils erwarten würde und das es „realistisch“ betrachtet im Grunde genommen keinen Unterschied macht, ob ich mich als einzelne Person beziehungsweise mit einer Bezugsgruppe in routinierte Protestmodi hineinbegebe, die mit verschiedenen Argumenten kritisiert werden können und sollten? Gelegentlich scheint es, als würden Linke, wenn ihnen nichts besseres einfällt um ihre Ohnmachtsgefühle zu kompensieren, das tun, was sie eben gefühlt am besten können: eine Demo organisieren, damit sich im Zweifelsfall immerhin alle Aktivist*innen mal wieder treffen und durchzählen können, wie viele es von ihnen denn noch gibt.

Inhaltliche und strategische Überlegungen zum Sinn linker Großevents finde ich sehr wichtig und will sie im Folgenden mitdenken. Dennoch soll es in diesem Text darum gehen, aus einer subjektiven Perspektive darüber nachzudenken, was eigentlich meine eigene Motivation war, durch die Welt zu fahren und in der demokratischen Masse aufzugehen. Die teilweise sehr professionellen Mobi-Videos waren dafür sicherlich ein zusätzlicher teaser, keineswegs aber auslösendes Moment. Sie lohnen sich, um über linke Mythenbildung zu sinnieren und in Momenten der Unsicherheit die eigenen Ansichten zu bestärken.1

Über die eigene Teilnahme an Protestereignissen zu reflektieren ist wichtig – sei es jeweils für sich alleine, besser noch in eigenen Affinitätsbeziehungen und auch bei öffentlichen Veranstaltungen, um Diskussionen anzuregen und Bewusstseinsbildung zu ermöglichen. Von den eigenen Erlebnissen und Überlegungen ausgehend kann weiter gedacht und reflektierter gehandelt werden. Das ist notwendigerweise ein stets unabgeschlossener Prozess, da sich die Rahmenbedingungen für Protestartikulation (und auch ihre Inhalte) fortwährend verändern. Worum es nicht gehen soll, ist eine simple oder anspruchsvolle Rechtfertigung für die eigenen Aktivitäten. Rechtfertigungen sind fehl am Platz, wo Selbstreflexion einsetzen soll. Diese verlangt Distanzierung zu sich selbst, dem persönlichen politischen Umfeld und die Annahme der Möglichkeit, dass das eigene Denken, Fühlen, Handeln auch grundsätzlich falsch, nicht angemessen oder zielführend sein könnte. Selbstreflexion ist tatsächlich oft nicht einfach, wenn sie an der Substanz eigener Überzeugungen nagt…

Naives Fragen

Um der Frage nachzugehen, was meine Motivation war, an den genannten linken Events teilzunehmen, hilft es zunächst scheinbar „naive“ weitere Fragen aufzuwerfen. Diese sind als Anregung zu verstehen. Beispielsweise: Was sind meine Ängste? Was sind meine Hoffnungen und Sehnsüchte? Welche Erfahrungen will ich machen? Auf welche Wirkungen spekuliere ich? Ganz klar, in der politischen Sozialisation und der Herausbildung eines individuellen Weltbildes spielen sich viele Dinge auf der Gefühlsebene ab. So steht auch für mich am Anfang dieser Geschichte das diffuse Lebensgefühl, das „etwas“ in der Welt nicht stimmt. Leider erwies sich das Etwas als zu groß und zu kompliziert, als dass ich es verdrängen oder einfach hätte lösen können. Bei mir erzeugen Proteste teilweise den Effekt, eine Verbundenheit zur „Bewegung“ auszulösen, sodass ich mich mit ihr identifiziere. Dieses Gefühl hat sich verfestigt und mit zunehmender Ernüchterung über die Wirkmächtigkeit linker Versammlungen, suche ich es wohl immer noch und fuhr routinemäßig nach Frankfurt, Garmisch und Berlin, weil ich auch „gefühlt“ länger nicht mehr an sowas teilgenommen habe. Insofern ist es bei mir auch schlichtweg die Neugier gewesen, welche Akteure sich jeweils versammeln, was sie tun und was eben noch so „spontan“ geschehen mag.

Was ist aber politisch?

Die meisten Menschen interessieren sich für irgendetwas. Logischerweise sollten politische Aktivitäten weit über den Aspekt des Hobby hinausgehen, wenn sie als einigermaßen sinnvoll und wirkungsvoll gelten sollen. Zumal, wenn damit der Anspruch erhoben wird, bestimmte Deutungen zu verbreiten und Entwicklungen voranzubringen (bzw. einzudämmen).

Wenn bestimmte Interpretationen gesellschaftlicher Vorgänge gesetzt, Adressaten des Protests und Anlässe definiert werden, kann es sich um politische Ereignisse handeln. Diese sprengen den Rahmen der persönlichen Interessen auf und gewinnen einen anderen Charakter als Fankultur oder der Besuch eines Festivals. Politischer Protest gewinnt auf der subjektiven Ebene Bedeutung, wo er eine Verbundenheit mit einer Thematik und Bewegung zum Ausdruck bringt und Menschen motiviert längerfristig für grundsätzlichen gesellschaftlichen Wandel aktiv zu werde. Dies geschieht durch die Verknüpfung von persönlichem und allgemeineren Interessen, wodurch sich politische Subjekte herausbilden.

Dies geschieht unter anderem auch durch die eigene Ortsbestimmung und die direkte Konfrontation mit jenen Autoritäten, welche sich gegen die eigenen Bestrebungen stellen. Die Begegnung mit dem Gewaltapparat (welcher die ökonomische Herrschaft schützt), erscheint daher als ein Moment der „Wahrheit“. Dieser bringt Menschen nicht automatisch weiter, kann aber bei Menschen das Denken und die Beziehung beispielsweise zum Staat verändern.

Herkunft, Umfeld und Verstricktheit

Was bei Linken oft eine Rolle spielt, ist das tief verwurzelte Gefühl, irgendwie irgendwem aus irgendwelchen Gründen helfen zu wollen oder gar zu müssen, um das eigene schlechte Gewissen zu kompensieren. Ein vergleichsweise hohes Maß an Sensibilität und Empathie sind in meiner eigenen peergroup angesagt, was ebenfalls damit zu tun hat. Die Welt ist in miserablem Zustand und dann kommen diese weltschmerzbehafteten Leute und zeigen mit ihrem „Engagement“, dass sich doch was ändern lässt innerhalb dieser Verhältnisse. Dieses kleinbürgerliche Engagement kann aufgesprengt werden, wofür es aber wichtig ist, sich der – durch Familie und soziales Milieu – geprägten Reflexgefühlen und -handlungen bewusst zu werden. Über die eigene Prägung ist kaum jemals vollständig hinaus zu kommen. Aber durch das Nachdenken darüber kann eine kritische Beziehung dazu gewonnen werden. Das Thema der „Werte“ spielt hierbei eine große Rolle und bewusst darüber zu sprechen, wäre auch in linken Kreisen öfters sinnvoll auch wenn es zugegebenermaßen schwerer ist, als die Selbstversicherung eigener Standpunkte.

Was zu ergründen ist…

Die eigene Lebenswelt, schlichtes Interesse, Teilhabe an einem politischen Subjekt, dem – etwas überspitzt gesagt – „Wahrheitsmoment“ zur Verortung des eigenen Standpunktes und das Bedürfnis nach „Engagement“ sind also wesentliche Aspekte der Motivation an politischen Ereignissen zu partizipieren. Darüber spielt aber auch der Glaube eine Rolle, dass sich sozialer Fortschritt durch Aktivismus erkämpfen lässt.2 Blicke in die Geschichte scheinen mich – trotz all dem Scheitern emanzipatorischer Bewegungen – darin zu bestätigen, dass wir eben nicht am Ende der Geschichte oder dem aller Zeiten leben, das unweigerlich und schicksalhaft über uns hereinbricht. Deswegen sollten wir keinem naiven Fortschrittsoptimismus anhängen – dazu ist die die Wirklichkeit der (politischen) Verhältnisse doch allzu grauenhaft und deutlich. Deswegen vermute ich, dass sich starke Antriebsmomente der letzten Begründbarkeit entziehen. Beziehungsweise dass sich diese, wie dargelegt, emotional begründet und schwierig zu fassen sind.

Anregungen zu ihrem Bewusstwerden können auf verschiedenen Wegen gesucht werden. Einer davon ist die Teilnahme an linken Großevents.

Ist politischer Aktivismus deswegen also irrationaler Selbstzweck oder das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung in entfremdeten Verhältnissen? Zumindest teilweise immer auch. Worum es gehen sollte, ist, die Verhältnisse zu überwinden, welche meinen Antrieb sie zu überwinden erst hervorbringen. Darum ist den Menschen nicht zu trauen, die gerne Politik machen – und sei es mit linksradikalem Ausdruck und Inhalt. Sie tendieren zum Bürokratismus und vereinnahmen wiederum andere Menschen für ihr Bedürfnis, die chaotische Welt zu strukturieren.3 Beziehungsweise im Parlamentarismus um Herrschaft zu vermitteln und Interessen durchzusetzen, welche nicht meine sind – wenn das „Engagement“ zum Beruf wird.

Wenn das Ziel linksradikaler Politik und Aktivismus die befreite Gesellschaft ist, bedeutet das auch die Überwindung ersterer. Trotzdem können Menschen natürlich Spaß daran haben, Dinge zu organisieren, in andere Städte zu fahren, gemeinsam durch Straßen zu demonstrieren oder Katz und Maus mit Bullen zu spielen. Es besteht jedoch die Gefahr eines Protestfetischismus, welcher davon zehrt, dass es allein das (eigene) individuelle und dann gemeinsame Handeln sei, welches Veränderungen bewirkt, während „objektiv“ betrachtet, der Lauf der Welt doch nicht von uns abhängt. Und doch hängt er paradoxerweise auch von uns ab, weswegen ich mir als entscheidenden Effekt linker Großevents erhoffe, dass „Aktivist_innen“ motiviert nach Hause fahren, um dort etwas anzufangen.4 Das berührt dann aber wieder eher strategische und Organisationsfragen, denen ich hier nicht weiter nachgehen kann.

Einige Konkretisierungen

Welche emotionalen Momente spielen bei mir bei den drei erwähnten politischen Ereignissen eine Rolle?

Interesse an der Masse: Bei Blockupy konnte die Masse – mit ihren faszinierenden, abstoßenden, bewegenden und lähmenden Aspekten gut beobachtet werden. Die Großdemo war schon groß und das verdeutlichte den linken Eventcharakter. Es ist einfach interessant, einen Überblick darüber zu kommen, wer aktuell alles so auf die Straße geht. Dadurch gewann ich also auch Einblicke, wie die linke Mischpoke derzeit aufgestellt ist – unabhängig davon, wer mir von ihr gefällt und wer nicht.

Teilhabe an Mythen und Tradition: Auch wenn von den Organisator_innen versucht wurde, Zusammenhänge zu Blockupy herzustellen, handelte es sich beim Protest gegen den G7-Gipfel um etwas ganz anderes. Dieser zehrte vom Mythos von Heiligendamm.5 Die top-down organisierte Großdemo in München musste ich mir nicht geben. Stattdessen war das Camp spannend und ermöglichte einen guten Austausch mit Anarchist_innen. Deren Broschüre6 hatte mich von Stil und Inhalt her überzeugt, dass es sinnvoll ist, nach Garmisch-Partenkirchen Protest zu tragen, auch wenn das bedeutete, es mit irgendwelche kruden Russlandfreundinnen und Rote-Fahnen-Schwenkern auszuhalten. Außerdem hatte ich vor Jahren eine starken Bezug zur globalisierungskritischen Bewegung und wollte diesem für mich politisierenden Prozess nachspüren und an dem, was daraus wurde teilhaben.

Ausdrucksdrucksformen für die eigene Betroffenheit: Die Aktion des Zentrums für politische Schönheit brachte dagegen wirklich etwas Neuartiges. Tags zuvor fand eine Großdemo zur Verlängerung von Blockupy statt, welche unter dem Motto „Europa. Anders. Machen.“ eher den anfangs erwähnten Charakter des „Leute zählens“ hatte. Ganz im Gegensatz dazu durchbrach die Inszenierung der kommenden Toten gewohnte Denk- und Handlungsmuster und ermöglichte es, der Ohnmacht und Fassungslosigkeit über das Ertrinkenlassen im Mittelmeer und die Verschärfung des Asylrechtes, aber auch alternativen Vorstellungen eines grenzenlosen Europas Ausdruck zu verleihen. Selbstverständlich darf es nicht bei spektakulären Inszenierungen und der oft zurecht angeprangerten Symbolpolitik bleiben. Umso mehr genoss ich das Mitwirken an einer Aktion, welche nicht behauptet, „die Verhältnisse grundlegend zu verändern“, sondern die Schlussfolgerungen und Initiative7 bei den Einzelnen zu belassen, die in ihrem alltäglichen Tun ja tatsächlich auch die antirassistische Bewegung sind.

Schlussgedanken

In diesem Beitrag habe ich versucht einige Gedankengänge offenzulegen, von denen ich vermute, dass sie schon viele andere Menschen in ähnlichen Situationen gehabt haben oder haben werden. Das Nachdenken über das eigene Handeln und das Nachspüren der Motivation dazu, halte ich für wesentlich um emanzipatorische Positionen zu entwickeln und mit diesen handlungsfähig zu werden. „Handlungsfähigkeit“ zu erlangen ist an sich schon eine riesige Aufgabe, welche ich mit dem Begriff der „Selbstermächtigung“ assoziiere, die immer ein Faktor von Protesten etc. darstellen sollte. Wie angedeutet ist dabei zu fragen, wozu, wohin, für und mit wem gehandelt werden soll, was mit den (Protest-)Formen auch verknüpft ist.


1
Bewegungs-intellektuell, für die antiautoritäre Strömung bei Blockupy von …umsGanze: https://www.youtube.com/watch?v=oksg5EYI1lw, kindlich-anarchistisch für die G7-Proteste: https://www.youtube.com/watch?v=kjpLOzUROmg, martialisch-pathetisch von „Perspektive Kommunismus“: https://www.youtube.com/watch?v=j44AAHKvFGM, künsterlich-humanistisch vom Zentrum für politische Schönheit zur Aktion „Die Toten kommen“: https://www.youtube.com/watch?v=9hXoIm6M_IM.

2
Um es runterzubrechen und die Diskussion anzuheizen würde ich sogar auf einen aktuellen Text von umsGanze verweisen. In diesem rechtfertigen sie ihre Teilnahme an Blockupy und schreiben: „Von Nichts kommt nichts“. Der Text eignet sich meiner Meinung nach gut zur Diskussion über linke und linksradikale Bewegung und Perspektiven. http://umsganze.org/nicht-zynisch-werden/

3
Blinder Aktivismus wäre eine andere Ausprägung: Auf „Aktiventreffen“ kann bspw. gut beobachtet werden, wie professionelle Polit-Aktivist_innen routinemäßig die zu mobilisierende Masse zum „Objekt“ degradieren. Wiederum ist der Rückzug in die reine Theoriearbeit eine andere Strategie den Unannehmlichkeiten und Herausforderungen konkreter Politik zu entfliehen.

4
Ehrlicherweise muss gesagt werden, dass aber auch das genaue Gegenteil eintreten kann, wenn die politische Betätigung sich auf Demofahrten beschränkt oder Menschen durch Repression desillusioniert und eingeschüchtert werden.

5
Siehe http://www.rosalux.de/news/41588/widerstand-unter-schwierigen-bedingungen.html

6
Siehe http://fda-ifa.org/g7/ → runterscrollen, online lesen oder downloaden.

7
Tatsächlich wurden offenbar auch einige Leute in Thüringen durch diese Aktion inspiriert und brachten im Juli Kreuze nach Erfurt: http://lirabelle.noblogs.org/2015/10/05/news-10/; http://www.jenapolis.de/2015/07/10/die-toten-kommen-auch-nach-jena/

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