Irgendwas mit Nichtmonogam …

Seit fast zwei Jahren gibt es in Erfurt das Poly-Palaver-Picknick, bei dem sich Frauen und Transpersonen, die nichtmonogam leben oder sich dafür interessieren, in lockerer Atmosphäre über ihre Liebes- und Lebensweise austauschen können. Kalle hat mit den Organisatorinnen Krista und Ayşe gesprochen.

Kalle: In fast allen größeren Städten gibt es einen Poly-Stammtisch. Wieso habt Ihr in Erfurt das Poly-Palaver-Picknick organisiert?

Ayşe: Meine Motivation war, andere Geschichten zu hören. Pärchengeschichten kennen wir ja ganz viele, da braucht man nur ins Kino zu gehen. Aber Polygeschichten kannte ich halt nur so eine oder zwei und ich wollte mehr hören. Aus diesen Geschichten kann ich Sachen übernehmen, Ideen und Möglichkeiten, wie man damit umgehen kann, wenn die eigene Geschichte nicht so gut läuft. Im Polykreis kann man das offen besprechen …

Krista: … und muss nicht erst klären, ob das überhaupt eine denkbare Alternative ist – was sonst oft anstrengend ist. Es ist ein bisschen wie mit Veganismus: Es nervt einfach, wenn man immer wieder erklären muss, dass man veganes Essen möchte. Wenn man sich zusammentut, kann man über Rezepte reden, ohne sich rechtfertigen zu müssen.

Kalle: Was heute positiv als Polyamory gefasst wird, lief in Erfurt früher unter „Kritik an Romantischen Zweierbeziehungen“ und hieß noch früher „Freie Liebe“. Was genau meint Ihr mit „Poly“?

Ayşe: Irgendwas mit Nichtmonogam. Also schon, dass man mehrere Beziehungen pflegt oder pflegen könnte und das offen sagt. Und dass die anderen Personen das wissen und zugestimmt haben. Und wenn grundsätzlich abgesprochen ist, dass das in Ordnung ist, kann das auch heißen, dass man im Einzelfall gar nicht immer über alles redet. So lange es eben kein heimliches Fremdgehen ist.

Krista: Und dass diese Beziehungen auch auf verschiedenen Ebenen stattfinden können und verschieden tief gehen können.

Kalle: Wir haben ja alle drei schon Erfahrungen mit Nichtmonogamie. Wie seid Ihr dazu gekommen?

Ayşe: Ich hatte früher zwei längere monogame Beziehungen und dann war immer irgendwann Trennung und Schluss und man hörte nie wieder was von der anderen Person. Also erst sieht man sich jeden Tag und dann, zack, vorbei. Und das fand ich komisch und auch schlimm, dass man sich dann gar nicht mehr kennt. Ich dachte, irgendwie muss das doch auch anders gehen. Denn einerseits bin ich ein Beziehungsmensch, setze mich gerne mit Leuten auseinander und bin mit ihnen zusammen, auch über längere Zeit. Aber ich lerne auch gerne neue Leute kennen. Die Zweifel kamen also aus den Trennungen. Und auch daraus, dass manchen Menschen ihre Beziehungen wichtiger sind als ihre Freude. Mir sind meine Freundinnen sehr wichtig, aber es gibt Menschen, die man kaum noch sieht, wenn sie eine monogame Beziehung haben. Das finde ich bei Poly-Beziehungen nicht so krass. Es ist da nicht so „Wir sind vollkommen füreinander da und die anderen sind nur Nebensache“, sondern „Wir sind zusammen, aber es gibt auch noch andere Menschen.“

Krista: Ich konnte mir noch nie vorstellen, so richtig auf Dauer nur mit einer Person zusammen zu sein und hatte dann immer so kleine Liebschaften, bei denen klar war, das ist nicht die Person fürs Leben. Als ich dann von der Idee gehört habe, fand ich es total erleichternd, so ein entspanntes Modell zu haben, wo man vielleicht eine oder zwei Personen hat, mit der man so eine ganz tiefe, innige Verbindung hat und es aber trotzdem möglich ist, auch Beziehungen zu anderen einzugehen. Denn mit manchen Menschen kann man halt gut Musik machen, mit anderen gut tanzen, mit den nächsten schön küssen oder wie auch immer ohne dass dadurch jetzt eine eigentliche Beziehung, die schon lange besteht gefährdet wird.

Kalle: Das klingt ein bisschen wie das Ideal, dass auch früher in der RZB-Kritik vertreten wurde: Menschen tun sich entlang von Interessen und Bedürfnissen zusammen, statt sich mit Haut und Haar aufeinander einzulassen. Aber eine Qualität von konventionellen Liebesbeziehungen soll sein, dass dabei der ganze Mensch gemeint ist. Läuft man nicht mit einem Modell, dass das aufgibt, Gefahr, sich am Ende instrumentell aufeinander zu beziehen?

Krista: Es ist natürlich sehr schön, wenn die ganze Person zum Tragen kommt. In meiner Wahrnehmung widerspricht sich das nicht unbedingt. Für mich ist es möglich, mich ganz auf eine Person einzulassen. Dennoch habe ich ja auch Kontakt zu anderen, warum dann nicht körperlich intimen Kontakt? Wenn das für alle Beteiligten okay ist, finde ich die Option nicht verwerflich.

Ayşe : Es gibt ja auch Freundschaftsbeziehungen, wo es um die ganze Person geht und welche, die man eher nur fürs Musikmachen oder fürs gemeinsame Wohnen pflegt.

Kalle: Euer Picknick wendet sich explizit an Frauen und Transpersonen. Wieso habt Ihr euch dazu entschieden?

Ayşe: Das werde ich auch immer von den anderen Frauen gefragt . Es sind mehrere Gründe: Zum einen soll das ein privater Schutzraum sein. Ich traue mich da eher, Sachen zu erzählen und vertraue den Frauen, dass sie es nicht weiter erzählen. Dann will ich mich mit Frauen austauschen, weil sie in einer ähnlichen Situation sind. Und was auch manchmal nervt, ist so Mackertum und dominanteres Redeverhalten. Das trifft natürlich nicht bei jedem Mann zu, aber ich hatte halt keine Lust, dabei zu sitzen, wenn Männer die ganze Zeit reden. Und dann wollte ich auch nicht, dass das so ein Flirtkreis wird. Das kann zwischen Frauen natürlich auch passieren, aber da stört es mich nicht so. Und letztlich ist es auch identitätsstiftend, sich mit anderen Frauen auszutauschen, die poly sind. Ich fänd’s gut, wenn das ein bisschen mehr in eine feministische Richtung gehen würde. Vielleicht könnten wir auch mal als Gruppe eine Veranstaltung machen, zusammen was lesen oder schreiben. Aber das ist von heute aus gesehen sicher erst der fünfte Schritt und auch eine Zeitfrage.

Krista: Wir haben das neulich auch nochmal diskutiert und festgestellt, dass es doch ein anderes Vertrauensverhältnis schafft, wenn nur Frauen dabei sind. Gerade wenn es um Sexualität geht, gibt es da eine andere Offenheit, sich auszutauschen und Unsicherheiten auszusprechen.

Ayşe: Das ist ja schon ein Thema: wer beim Sex den aktiven Part übernimmt . Wenn man mit Männern zu tun hat, mit denen man über so was gar nicht sprechen kann, weil die gar nicht checken, was das Problem daran sein könnte, ist das sehr anstrengend. Beim Picknick kann ich mich in Ruhe mit Frauen austauschen und dann danach mit meinen Partnern darüber sprechen.

Kalle: Bedeutet es für Frauen etwas anderes, Poly zu sein, als für Männer?

Ayşe: Frauen müssen stärker befürchten als „Schlampe“ abgestempelt zu werden als Männer, wenn sie nicht monogam leben. Ich kenne ein Paar, wo er immer mal was mit anderen Frauen hatte. Sie das aber nicht tut, weil sie nicht will, dass schlecht über sie geredet wird.

Krista: Ich habe außerdem den Eindruck, daß Frauen mit Nichtmonogamie besser klarkommen und auch besser mit Eifersucht umgehen können. In den konkreten Konstellationen, die ich kenne, kommt es mir deswegen so vor, dass es für die Frauen leichter ist als für die Männer. Aber ich weiß nicht, ob man das verallgemeinern kann. Ein anderes großes Thema ist die Schwangerschaft. Wenn Du von einer Beziehung, die nicht Deine Hauptbeziehung ist, aus Versehen schwanger wirst, was passiert denn dann? Das ist ehrlich gesagt die Sache, die mich etwas hemmt, mich mit mehreren Männern einzulassen. Bei Frauen bin ich da offener.

Ayşe: Also angenommen, Du weißt nicht, vom wem es ist. Das ist blöd. Ich weiß gar nicht, ob man das vor der Geburt feststellen lassen kann. Das wäre ein Problem, weil mit wem soll man sich jetzt auf das Kind einstellen. Wenn das Kind ungewollt ist, verkompliziert es die Sache auch nochmal. Überhaupt ist das für Frauen doch anders. Der Mann kann ja immer verschwinden. Machen ja ganz viele Väter, auch heute noch.Die Gründe dafür können natürlich ganz verschieden sein.
Kalle: Könnte man statt zu versuchen, rauszufinden, von wem es ist, nicht einfach fragen, wer gerne ein Kind aufziehen möchte?

Ayşe: Man müsste total viel miteinander klären und absprechen. Und ich vermute, dass es total schwierig ist, gleichwertige Beziehungen zu führen, weil ein Kind ja erstmal zusammen schweißt. Ich hatte schon die Idee, mit zwei Männern je ein Kind zu haben und dann zwischen den beiden Haushalten zu pendeln (lachen). Viele Männer machen das ja so. Aber das fand einer meiner Partner ganz schrecklich.

Kalle: Man könnte ja auch gemeinsam ein Kind aufziehen. Es ist doch sowieso total viel Aufwand, sich um ein Kind zu kümmern, würde es sich da nicht anbieten, das mit mehreren zu machen?

Krista: Ich fände das nicht schlimm.

Ayşe: Klar, das wäre natürlich cool. Es gibt auch Leute, die das so machen. Da müsste man aber so ein Poly-Konzept haben, wo alle auch miteinander zu tun haben. Bei uns ist das ja z.B. gar nicht so, wir trennen die verschiedenen Beziehungen ziemlich stark.

Kalle: Wie ist das denn mit Hausarbeit in Poly-Beziehungen? Eine Studie aus Wuppertal sagt, dass in heterosexuellen Partnerschaften Frauen immer noch ¾ der Hausarbeit erledigen und sich das tägliche Zeitbudget der Männer auf diesem Gebiet in den vergangenen 20 Jahren um 10 Minuten erhöht hat.

Krista: Also 10 Minuten statt Null ? .

Ayşe: Das ist ja allgemein Thema in Beziehungen. Ich habe nicht immer Lust, Essen zu machen oder den Tisch zu decken, da bin ich manchmal empfindlich. Aber ich achte auch darauf, dass ich im Restaurant öfters zahle.

Krista: Wobei wir darüber im Polykreis nicht so viel reden. Ich habe bei meinen Beziehungen auch den Eindruck, dass es relativ ausgeglichen ist. Natürlich nicht immer.

Ayşe: Na, ich kenne das schon. Es gibt so typische Sachen, die Männer und Frauen machen, das ist in unseren Kreisen auch nicht anders als bei Leuten, die mono leben. Also wer repariert was, wer fährt Auto, wer beschäftigt sich eher mit Technik, wer mit Menschen. Das sind schon auch Sachen, die dann und wann Anlass für harte Diskussionen bieten. Denn die Ungleichheit kommt ja daher, dass Männer und Frauen ja tatsächlich durch ihre Sozialisation oder ihre Ausbildung bestimmte Sachen besser und andere schlechter können. Da ist halt die Frage, ob man Lust hat, bewusst gegenzusteuern, auch um den Preis, dass dann manche Sachen länger dauern oder ein schlechteres Ergebnis erzielt wird.

Kalle: Denkt Ihr, dass Poly das Potential hat, die Gesellschaft zu verändern?

Krista: Was ich daran wichtig finde, ist, daß generell erst mal überlegt wird: „Wie möchte ich denn in Beziehungen zu anderen leben?“ Ich glaube nicht, dass es gesellschaftlich wichtig ist, dass immer mehr Leute poly leben, sondern dass es viel entscheidender ist, dass Offenheit für andere Lebensformen entsteht. Und diese offene und sensible Kommunikation, die in Poly-Beziehungen offensichtlich wichtig ist, würde ich allen Beziehungen wünschen. Und das kann dann Gesellschaft verändern, wenn wir so offen und sensibel miteinander umgehen.

Ayşe: Was es noch ändern könnte, wäre, dass sich die Menschen nicht mehr mit 30 in ihre Partnerschaften zurückziehen, sondern sich vielleicht öfter und länger gegenseitig unterstützen, vielleicht auch im Zusammenhang mit Wohngemeinschaften oder Gemeinschaftsprojekten, in denen man nicht alles für sich alleine regelt.

Kalle: Vielen Dank für das Interview. Ich wünsche euch noch viel Erfolg mit dem Poly-Palaver-Picknick. Wie können euch Interessierte erreichen?

Krista: Ebenso vielen Dank. Wer Interesse am Poly-Palaver-Picknick hat oder Fragen und Anmerkungen loswerden möchte, kann sich gern hier bei uns melden: polypalaver@posteo.de. Unser nächstes Poly-Plauder-Picknick ist übri- gens am 26.4., 20 Uhr und 25.5., 20 Uhr, Ort ist per Mail erfragbar. Wer kommen möchte, kann uns gern schreiben.

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