Revolution & Kopfarbeit

Anfang Juni 2016 fand in der Nähe von Berlin das Frauen*-Theorie-Wochenende „Revolution & Kopfarbeit“ statt. Ein Wochenende lang setzten sich ca. 40 Teilnehmerinnen – Frauen, die bei den Falken und/oder in anderen linken Zusammenhängen organisiert sind – mit dem Verhältnis von Geschlecht und linker Theoriearbeit auseinander und besuchten verschiedene Workshops. Organisiert wurde die Veranstaltung von Genossinnen der Thüringer Falken und Einzelpersonen mit Unterstützung der Mädchen- und Frauenpolitischen Kommission der SJD – Die Falken. Was die Idee dahinter war und wie das Wochenende verlief, umreißt Lisa aus dem Vorbereitungskreis.

Los ging’s im Herbst 2015. Der Vorbereitungskreis bestand aus Frauen, die sich seit mehreren Jahren in linken Zusammenhängen organisieren und dabei sozialistische Bildungsarbeit als wesentlichen Aspekt ihrer politischen Arbeit verstehen. Dabei ist Theoriearbeit für uns kein Selbstzweck. Wir meinen vielmehr das Bemühen, die gesellschaftlichen Verhältnisse und ihre Funktionsweise zu durchdringen und zu verstehen – ausgehend vom eigenen Leben und mit dem Impetus, die Gesellschaft zu verändern. Da wir nicht davon ausgehen, dass wir vereinzelt etwas reißen können, ist Theoriearbeit bei uns immer auch als kollektive Bildung gedacht.

Dabei haben wir die Erfahrung gemacht, dass auch in linken Zusammenhängen Theorie- und Bildungsarbeit (gemeinsam Diskutieren und Lesen, auf Workshops und Vorträge gehen und diese organisieren, Artikel und Flugblätter schreiben, usw.) viel häufiger von Männern als von Frauen betrieben wird.1 Die Ausnahme ist das Thema Feminismus – da wir aber nicht allein Frauen, sondern auch Lohnabhängige und Sozialistinnen sind, wollen wir uns nicht auf das Themenfeld beschränken. Trotzdem konnten wir an uns selbst beobachten, dass viele von uns mit ihrem Wissen viel zögerlicher umgehen als männliche Genossen – indem wir oftmals davor zurückschrecken, selber Vorträge zu halten, uns auf Podien zu setzen, Artikel zu schreiben, uns in Diskussionen zu Wort zu melden usw.2 Dafür kann es sehr unterschiedliche Gründe geben – grundlegende Unsicherheit über das eigene Wissen, aber auch den ganzen Rattenschwanz an Überlegungen darüber, wie man rüberkommen könnte, die Angst vor fehlender Anerkennung etc. Die Unzufriedenheit mit diesem Zustand und die Annahme, dass unsere Erfahrungen mit unserer geschlechtsspezifischen Sozialisation zusammenhängen, waren Ausgangspunkte für die Organisation des Frauen-Theorie-Wochenendes. Gemeinsam wollten wir uns mit unserem Verhältnis zu Theoriearbeit und unseren Schwierigkeiten dabei auseinandersetzen, um einen besseren Umgang damit finden zu können. Dazu erarbeiteten wir ein Thesen-Papier, welches wir an dem Wochenende in Kleingruppen diskutierten.

Außerdem gab es Workshops zu verschiedenen Themen wie Kapitalismuskritik, Psychoanalyse, Sozialistischer Feminismus, Klassismus und Klassengesellschaft, Neoliberalismus, Leistungsgesellschaft etc. Die Workshops wurden von den Organisatorinnen und von einzelnen Teilnehmenden angeboten und boten die Möglichkeit, sich als Referentin auszuprobieren und gemeinsam weiter an einer Kritik dieser Verhältnisse zu arbeiten. Einige Referentinnen, die bei dieser Gelegenheit das erste Mal einen Workshop leiteten, machen das seitdem regelmäßig in linken Zusammenhängen. Ein ziemlich gutes Ergebnis, wie wir finden.

Insgesamt hat uns das Wochenende viel Spaß gemacht. Wir haben viele Genossinnen kennengelernt, die wir sonst wahrscheinlich nicht getroffen hätten. Nächstes Jahr soll vom 30.6. bis 2.7.2017 eine Folge-Veranstaltung stattfinden. Denn „Revolution & Kopfarbeit“ war vor allem eins: ein Auftakt für weitere inhaltliche Auseinandersetzungen zur Praxis linker Theoriearbeit und ein erster Schritt, Frauen, die sozialistische Bildungsarbeit betreiben oder betreiben wollen, zusammenzubringen und uns zu organisieren. Wenn ihr euch daran beteiligen wollt, meldet euch bei uns unter kontakt@falken-thueringen.de.


1
Global gesehen haben natürlich die meisten Frauen mit den meisten Männern gemein, überhaupt keine sozialistische Theoriearbeit zu betreiben. Hier geht’s um Frauen, die das machen (und darunter sind ein Haufen Akademikerinnen) und dabei auf spezifische Schwierigkeiten stoßen und nicht um alle Frauen dieser Welt.

2
Damit ist nicht gesagt, dass männliche Genossen automatisch ein rationaleres Verhältnis zu Theoriearbeit hätten. Phänomene, die meiner Einschätzung nach häufiger bei männlichen Genossen, die Theoriearbeit betreiben, anzutreffen sind, wie eitle Überschätzung des eigenen Wissens, Profilierung und Distinktion durch Theoriearbeit, Mansplaining (man + explaining = Mann + erklären) usw. stehen ihnen ja auch einerseits selbst im Weg und erschweren gegebenenfalls zusätzlich Anderen den Zugang zu linker Bildungsarbeit. Aber das war nicht unser Fokus.

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