Im Nachgang der 1968er-Revolte entstanden zahlreiche Wohnprojekte, die im Privaten das realisieren wollten, was auf gesellschaftlicher Ebene gescheitert war: eine soziale Revolution. So sollte der Kapitalismus durch die gemeinsame Kasse, die beengende Privatheit der Kleinfamilie durch das Aushängen der Klotüre überwunden werden. Wo es hinreichend charismatische Führerfiguren gab, war vorgeschrieben, jeden Abend mit einer anderen Person ins Bett zu steigen – natürlich nur, um das Chi zu stärken und Orgon-Energie zu sammeln. In der Alternativ-Szene waren
diese Gruppen akzeptiert. Konflikte gab es nur, wenn offen Sexualität mit Kindern propagiert wurde. Seit den 1980ern nahm die Bedeutung der Sex-Sekten ab. Ihre Rhetorik passte nicht mehr zum kühlen Zeitgeist, außerdem gab es einige spektakuläre Prozesse und eine zunehmende innerlinke Kritik. Verschwunden sind die Gruppen jedoch nicht, Projekte wie das ZEGG in Bad Belzig und TAMERA in Alentejo (Portugal) trugen den Glauben weiter, auch wenn man sich in den 1990ern kaum noch öffentlich äußerte und statt dessen mit Seminaren den üblichen Mischmasch aus Alternativmedizin, Lebenshilfe und Selbstoptimierung verkaufte. Aus diesem Dunstkreis heraus ist „Change&Go“ entstanden. Die Lebensgemeinschaft wurde in einer WG in Halle gegründet und hat 2016 ein Kloster in Franken gekauft, um dort „inspirierte Geister“ bei „Heilarbeit, Meditation, Innovation, Spiritualität, Tantra, Yoga“ zu einer “kreativeren, liebevolleren Symphonie der Menschlichkeit“ zusammen zu bringen. Übrigens nicht nur in Franken: Change&Go hat mehrmals auf dem Fusion-Festival den Kinderspace organisiert. Im Mai 2020 hat die Lokalpresse die Symphonie gestört. Unter der Schlagzeile „Psychodruck und sexualisierte Gewalt in ehemaligem Kloster?“ schreibt die Mainpost von Aussteiger*innen, die genau das berichten, was auch in den 1980er- und 1990er-Jahren das Problem war: Einen Guru, der Sex als Therapie verschreibt und Gruppenterror durch kollektive Psycho-Methoden. Nun kann man aus der Berichterstattung einer
Lokalzeitung nicht zweifelsfrei folgern, was sich dort abgespielt hat. Sicher ist aber, was man eigentlich auch in den 1970er-Jahren schon hätte wissen können: Wer sexuelle Befreiung anbietet,
ohne dabei die heteronormative Matrix und das Patriarchat anzugreifen, landet am Ende nur dabei, dass die größten Macker ihre sexuellen Vorlieben noch besser ausleben können.
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