In der Rubrik Absurditäten aus dem Arbeitsleben schildern Genoss*innen, was man im real existierenden Kapitalismus so erlebt. Hast du auch absurde Geschichten auf Arbeit erlebt? Schreib an die Lirabelle.
Die Berufsschule ist ein mystischer Ort. Hier sitzen in einer Klasse 16-Jährige, gerade aus der Schule entlassen, neben Leuten Mitte oder Ende 20 nach einem Studium und Ü-50-Jährigen, die noch einmal umschulen. Zusammen müssen dann Diktate geschrieben und Lückentexte ausgefüllt werden. Da mein vorheriges Studium mich in eine Perspektivlosigkeit brachte, saß ich nun also an so einem mystischen Ort in einer solch zusammengewürfelten Berufsschulklasse. Immerhin die Zeit in der Berufsschule bedeutete nicht auf Arbeit zu sein, dafür bringt dieses Konzept aber andere Unwegsamkeiten und Schikanen mit sich.
An jedem Morgen beginnt es mit der Abfrage der Anwesenheit, welche im Klassenbuch notiert wird. Da jede Minute im warmen Bett mehr Wert ist als mein monatliches Ausbildungsgehalt, beginnen hier bereits die Probleme. Hinzu kommen Bahnverbindungen die einen entweder 10 – 20 Minuten dumm vor einer verschlossenen Klassenzimmertür stehen lassen oder man versucht das akademische Viertel zu etablieren. Letzteres ist eine Strategie die nicht unbedingt auf Zuspruch seitens der Lehrer*innenschaft trifft. Akribisch wird jede Minute, die man nach Unterrichtsbeginn zu spät kommt, im Klassenbuch notiert. Auf Arbeit könne man ja auch nicht kommen, wann man will. Während die Lehrer*in mit Kopfschütteln also mal wieder drei Minuten einträgt, werde ich daran erinnert, dass am Ende des Ausbildungsjahres jede Minute im Zeugnis vermerkt wird. «Die Bahn kam zu spät!» oder «Mein Hund hat den Fahrschein gefressen!» bringe ich schon gar nicht mehr vor, denn selbst wenn dem so ist, hat es seine vorgegebene Richtigkeit die Minuten einzutragen. Ich wünsche auf die Belehrung also auch ein «Ebenso guten Morgen» und setze mich hin, um zu lernen, wie man mit Kunden kommuniziert und mittels konstruktiven Verhaltens soziale Kompetenzen im Konfliktmanagement erlernt. Da destruktives Verhalten aber wesentlich spannender ist, greife ich zur aktuellen Ausgabe der Konkret in meinem Rucksack und beginne unter dem Tisch zu lesen. Noch bevor ich den ersten Absatz gelesen habe, ertönt die Ermahnung: «Handy weg oder ich kassiere es ein! Die Hände auf den Tisch!». Da ich mich nicht angesprochen fühle, versuche ich mich auf meinen Text zu konzentrieren. Die Ermahnung wird lauter und die Blicke der Klasse hängen auf mir. Dass ich kein Telefon in der Hand habe und lediglich lese, bringe ich zwar vor, doch es ist eigentlich egal, denn der Konflikt ist ein anderer. Die Lehrer*in muss nun vor der versammelten Klasse beweisen, dass sie die Autorität ist, die nicht nur jede Minute aufschreibt, sondern auch sanktioniert, wenn wir nicht konstruktiv ihren Tafelbildern und Folien auf dem Polylux folgen. Es entbrennt ein Streit, indem Argumente relativ egal sind und ich die Konkret aushändigen soll. Da zu bezweifeln ist, dass die Lehrer*in die Pause nutzt, um darin interessiert zu stöbern, verweigere ich auch dies und lese weiter, während die Lehrer*in nicht gerade mit ihrem vorher vermittelten konstruktiven Verhalten im Konflikt glänzt. Dass diese Schlacht zwar für mich gewonnen, aber die nächsten Ausbildungsjahre daraus bestehen, dass diese Lehrer*in das Konfliktmanagement von autoritären Charakteren zum wesentlichen Inhalt ihres Lehrplans mir gegenüber hinzufügt, habe ich in diesem Moment nicht bedacht. Endlich Pause, schnell eine rauchen. Natürlich vor dem Schulgelände und nicht darauf. Es folgt Sozialkunde. Die Lehrerin erklärt uns hier das die freie Marktwirtschaft und die Planwirtschaft gescheitert sind. Das beste ist die soziale Marktwirtschaft. Wissen, was man so kompakt aus der Konkret nicht geliefert bekommt. Auch das der NSU quasi die «braune RAF» war, lerne ich an diesem Tag. Widersprüche werden mit einem irritierten «Ah ja… Danke.» honoriert. Wenigstens hat schon vorher niemand aus der Klasse zugehört. Noch eine dreiviertel Stunde bis zur nächsten Pause. Mir fällt ein, noch für die Woche einkaufen zu müssen, was ich kurzerhand erledige. Das Risiko den Aufbau unserer besten aller Staatsformen zu verpassen, nehme ich in Kauf. Mit einem vollen Einkaufsbeutel komme ich wieder, glücklicherweise interessiert es ausnahmsweise niemanden. Eine Zigarette später folgt Ethik. In einem Stuhlkreis werfen wir uns ein Kuscheltier zu, um uns vorzustellen und der Person nach uns irgendeine Frage zu stellen. Für die nächste Woche wird am Ende der Stunde der Klassiker jeder Ethikstunde angekündigt: «Eine unbequeme Wahrheit» von Al Gore wird als VHS auf dem Röhrenfernseher gezeigt. Ich freue mich in den 1,5h ein bisschen Schlaf nachholen zu können, bis es heißt, dass wir anschließend dazu einen Lückentext ausfüllen müssen.
Noch eine Kippe vor den letzten beiden Stunden. Der Lehrer kommt rein, beginnt mit anzüglichen und zweideutigen Sprüchen gegenüber einer 16-jährigen Mitschülerin, alle lachen. Das man mit der Problematisierung solcher Ausfälle ziemlich alleine steht, merkte ich bereits als anzügliche Kommentare unseres Sportlehrers als nicht so schlimm oder Komplimente verstanden wurden. Angewidert schaue ich aus dem Fenster und hoffe, dass es bald vorbei ist.
Endlich raus, Kippe an, in dem Wissen das ich heute wieder perfekt auf die Zurichtungen der Lohnarbeit vorbereitet worden bin. Also doch etwas gelernt. Heil der sozialen Marktwirtschaft!