Irgendwie nicht unsere Veranstaltung

Die Grünschnäbel betreiben in der Nähe von Erfurt Bio-Landbau und organisieren solidarische Landwirtschaft, bei der die Produktion und Verteilung von Lebensmitteln durch eine regionale Vernetzung von Erzeuger*innen und Verbraucher*innen organisiert wird. Die Lirabelle hat nachgefragt, was die Genoss*innen von den aktuellen Bauern-Demos halten, ein Grünschnabel hat geantwortet, wir haben den Beitrag redaktionell überarbeitet und gekürzt.

Wir haben aus vielen Gründen nicht an den Traktoren-Demos teil genommen. Erstens haben vor allem der Bauernverband und mit der industriellen Agrarwirtschaft verbundene Berufsverbände dazu aufgerufen. Zweitens halten wir es nicht für besonders zeitgemäß und konstruktiv, mit dieselverschlingenden Monstertraktoren, LKW und Trucks einen ganzen Tag lang durch Städte zu fahren, hasserfüllte Parolen zu skandieren, zu Gewalt an Menschen aufzurufen und die AfD zu wählen. Irgendwie nicht unsere Veranstaltung. Wir waren noch nie auf Demos, die mit nationalistischen und weit nach rechts reichenden Symbolen arbeiten und werden damit jetzt bestimmt nicht anfangen, zudem wir von den Kürzungen beim Agrardiesel auch gar nicht betroffen sind – wir haben letztes Jahr 60€ für Sprit ausgegeben …

Dennoch liegt in der medialen und politischen Aufmerksamkeit für die Proteste auch eine Chance, die Belange der Landwirt*innen und Betriebe ins Blickfeld zu rücken – vielleicht auch in Abgrenzung zur Agrarindustrie. Denn bis zu einem gewissen Grad kann ich den Frust der Bäuer*innen nachvollziehen. Allerdings ist der Frust Folge einer immer mehr auf Profitmaximierung und Intensivierung angelegten Agrarpolitik sowie des enormem Kostendrucks und der schlechten Verhandlungsposition gegenüber großen Handelsketten. Seit den 1960er-Jahren ist in Deutschland ein «Höfesterben» zu beobachten – ein Ende ist nicht in Sicht. Und nun stellt sich ausgerechnet der Bauernverband in die vorderste Reihe und beklagt eben dieses Höfesterben – das ist Heuchelei vom Feinsten. Denn der hochgradig mit der Agrarindustrie verflochtene Bauernverband war mit seiner exportorientierten, auf immer mehr Wachstum ausgelegten Politik einer der Haupttreiber des Wachse-oder-weiche, bei dem nur die größten Betriebe übrig bleiben. Die verfehlte Agrarpolitik und die Blockade jeder Reform in Deutschland geht zu einem guten Teil auf sein Konto und auf das Konto der CDU/CSU, die seit Gründung der Bundesrepublik 51 Jahre lang, von 2005 bis 2021 ununterbrochen, das Landwirtschaftsministerium innehatte.

Wir haben unseren Betrieb («Gemüsewerkstatt Grünschnabel») bewusst anders aufgestellt – Direktvermarktung ist unser Schwerpunkt, um soviel Wertschöpfung wie möglich im Betrieb zu generieren. Wir beziehen keine Subventionen, außer der sogenannten Betriebsprämie, das sind ca. 250,00 € im Jahr, da wir uns nicht von politischen Instrumenten abhängig machen wollen und für viele Fördermaßnahmen einfach zu klein sind – flächengebundene Direktzahlungen im Sinne des „Gießkannenprinzips“ gehen nur an Betriebe ab einer gewissen Größe. Daran wird gut sichtbar, wie die Landwirtschaft durch die Fördermaßnahmen gesteuert wird. Landwirt*innen, die wichtige Leistungen für Natur- oder Umweltschutz erbringen, bekommen davon wenig ab. Wir fänden es wichtig, die Förderung von Betrieben zu priorisieren, die sich besonders um Umwelt-, Klima- und Tierschutz bemühen. Wir möchten eine Landwirtschaft, die produziert, was verbraucht wird und nicht darüber hinaus. Das war auch der Grund, warum wir unseren Betrieb 2022 auf „Solidarische Landwirtschaft“ umgestellt haben. Fort von einer Produktion, die Lebensmittel für einen Markt herstellt, von dem wir nie wussten, ob es den dann auch gibt. In Konkurrenz zu anderen Biobetrieben um den «besten» (also günstigsten) Preis, bei einem sich naturgemäß überschneidendem Sortiment. Und Gemüse in einer nach Standards (Handelsklassen) genormten Qualität zu produzieren, und sobald es diesen Standards nicht mehr entspricht, entweder gar nicht zu ernten oder zu kompostieren. Wie absurd ist das eigentlich? Seit der Umstellung auf Direktvertrieb über solidarische Landwirtschaft landet das Gemüse, auch wenn es mal krumm oder klein ist, auf dem Teller. Hinzu kommt noch, das die Umstände – das Klima – uns vor noch mehr Herausforderungen in der Lebensmittelproduktion stellen und es Jahre gab, wo wir wirklich froh waren, das überhaupt etwas wuchs.

Was bei uns wächst, ist das Gemüse und nicht der Betrieb oder unser Kapital, wir haben keine Lust auf die kapitalistische Wachstumsideologie. Unser Betrieb ist nicht auf Profitmaximierung angelegt. Wir wollen für die Arbeit, die wir leisten, angemessen entlohnt werden und die Ausgaben tätigen können, die nötig sind, um den Betrieb am Laufen zu halten und sinnvoll zu entwickeln – auch dies ein Grund, warum wir uns bei den vom Bauernverband aufgerufenen Protesten nicht wieder finden. Profitmaximierung für ein paar Wenige (Agrarkonzerne, Politiker*innen, Saatgutmonopolisten, Düngemittel- und Chemieindustrie, Pestizidhersteller, Lobbyisten, Banken, Großgrundbesitzer – ein fieser Filz) auf Kosten von Natur, Mensch, Tierwohl ist einfach nicht unser Ding.

Apropos «fieser Filz» : Global gesehen geht es um nicht weniger als unsere Ernährungssouveränität und die ist extrem gefährdet, da immer mehr Produktionsmittel in den Händen von multinationalen Konzernen liegen. Hier ein paar Beispiele:

Land – in großen Teilen der Welt, ist vielen Menschengruppen der Zugang zu Land nicht möglich und somit die Ernährung und das Überleben nicht gewährleistet. Das Land gehört Großgrundbesitzer*innen, die dann wiederum viel Einfluss auf die örtliche Politik ausüben, um ihre Interessen durch zu setzten.

Saatgut: Seit den 1980er Jahren akkumuliert sich die Saatgutproduktion und die Patente auf Saatgut immer mehr. Mittlerweile gibt es nur noch vier große Player, die viel Druck auf die Politik ausüben, u.A. für die Zulassung von gentechnisch verändertem Saatgut und daraus hergestellte Produkte.

Wasser: Mal abgesehen davon, das größere Mengen von Düngemitteln, Gülle und Pestiziden zu einem nicht unerheblichen Teil im Grundwasser landen, wird der Zugang zu Wasser zunehmend privatisiert. Diese Problematik wird sich im Zuge des Klimawandels noch zu spitzen und vermutlich auch zu territorialen Kämpfen um Wasser führen.

Die großindustrielle Landwirtschaft trägt zu einem Großteil zu Erderwärmung und somit zur Klimakrise bei. Es müssen endlich die Weichen hin zu einer bedarfsorientierten, boden-, wasser- und klimaschonenden extensiven Landwirtschaft gestellt werden und das sind Ziele, die wir wohl besser ohne den lobbyistischen Bauernverband erreichen. Wir, viele andere Solawis, kleine Betriebe und Kleinbäuer*innen weltweit haben damit schon angefangen.

Es mangelt also nicht an Ideen: In der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) haben Bauern- und Umweltverbände gemeinsam Vorschläge für den dringend notwendigen Umbau hin zu einer nachhaltigen und für Landwirt*innen tragfähigen Landwirtschaft erarbeiten uns 2021 veröffentlicht. Auch der agrarpolitische 6-Punkte-Plan der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (ABL) zeigt kurzfristige Maßnahmen auf, die sowohl kostenneutral oder entlastend für den Bundeshaushalt wären als auch die Ökologisierung der Landwirtschaft vorantreiben und gleichzeitig zur wirtschaftlichen Sicherung vieler landwirtschaftlicher Betriebe beitragen würden.

Da es nicht unser Weg ist, uns auf die Politik zu verlassen, möchten euch einladen, euch im Alltag für eine Agrarwende zu engagieren: Achtet darauf, woher ihr eure Lebensmittel bezieht, unterstützt Solidarischen Landwirtschaft oder Food-Projekte. Schmeißt keine Lebensmittel weg und vermeidet Produkte, die mit viel Energie produziert, transportiert, intensiv aufbereitet und auch noch vor Plastik strotzend verpackt sind. Containern gehen ist prima. Versucht euch Pflanzen basiert zu ernähren. Und wer sich engagieren will, kann das bei der AbL oder dem Thüringer Ökoherz tun, an der Tour de Bio teil nehmen, einen Ernährungsrat in Erfurt gründen, bei der Kommunalpolitik Druck machen oder Vereine unterstützen, die sich für ökologische und soziale Belange einsetzen.

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