Torsun ist tot

Mit Egotronic hat Torsun Burkhard den Musikgeschmack einer ganzen Generation Antifas geprägt und nicht unerheblich dazu beigetragen, dass eine Strömung, die vorher eher mit Lesekreis und Zwölftonmusik in Verbindung gebracht wurde, auf einmal subkulturell angesagt war. Wir haben rumgefragt, was Genoss*innen mit Torsun und Egotronic verbunden haben.

Es musz stets hell für Gottes Auge sein
«Früher ging’s denen noch um Foucault», das ist eine Variante eines verbreiteten Spruchs über Bands, die man eher selten hört. Aber hier passt sie. Als ich Egotronic zum ersten Mal gehört habe, sprach aus den Texten eine kryptische Mischung aus Hedonismus und Poststrukturalismus, es ging um Innenstadtaktion, Geschlechterverhältnisse, Kontrollgesellschaft und Pilze: «Sie machen alles bunt und darum lieb’ ich sie». Das war 2001 beim Abschlusskonzert des Antifa-Ratschlags im Club der Jugend und Sportler in Gera. Die Musik war aus Breakbeats und Homecomputer-Samples zusammengesetzt, experimentell und grottenschlecht abgemischt. Ich fand’s super, die Geraer Punks konnten damit überhaupt nichts anfan-gen und haben das auch gezeigt – Elektropunk war halt in Thüringen noch nicht angekommen. Anders 2009, kurz vor der Räumung des besetzten Hauses in Erfurt. Sowohl ästhetisch als auch textlich war Egotronic zu dieser Zeit die Band der antideutschen Szene, die in den 2000er-Jahren unglaublich genervt, aber auch unglaublich viel gerissen hat. Entsprechend war das Haus so voll, dass das Kondenswasser von der Decke tropfte und Torsuns Gesang bei «Raven gegen Deutschland» kaum zu hören war, zumindest in meiner Erinnerung. Schön war’s, obwohl auch die Band ein bisschen genervt hat – sich über Gemeinschaftsideologie und Musik mit Botschaft lustig machen, bevor man die Hymne einer Bewegung anstimmt und 200 Antifas mitgröhlen, das war schon eine merkwürdige Mischung aus Selbstgerechtigkeit und Understatement. Aber in dieser Widersprüchlichkeit irgendwie auch toll. Schief.

Mit Torsun vom Dorfpunk zum Antideutschen
Von Ox Y. Moron

Ich bin als Linker/ Punk auf dem Dorf aufgewachsen und war, was Musik angeht, ausgesprochen wählerisch: Punkrock. Das war’s. Elektronischer Musik hing mir der Gestank der Normalgesellschaft an. Mein Bild von Elektropartys kam im Lied «Disco» einer meiner damaligen Lieblingsbands «Slime» zum Ausdruck: «Hirnis überall wohin du siehst. Sie sind geschniegelt, gebügelt und verspießt. Sie sind hirnlos, machtlos, haben kein Gewissen. Solche Typen haben bei uns verschissen.» Meine politische Heimat war die antinationale Antifa, Israel war mir ein Nationalstaat wie andere auch und die USA das Herz der Kapitalismus.
Mit meinen Genossinnen und Genossen habe ich damals jede für uns irgendwie erreichbare Anti-Nazi-Demo im Umfeld von 200km besucht. So landeten wir – eine liebenswerte Gang politischer Punks vom Dorf – am 3. Oktober 2004 in Erfurt auf einer Demonstration der Antifa-Gruppe Mila26 unter dem viel versprechenden Motto «Deutschland hassen». Als mir dann dort die Elektropunks von Egotronic begegneten und das auf einer Demo, bei der ich hinter Israel- und USA-Fahnen her trottete, kam ich ins Grübeln. Diese Demo, die affirmative Haltung der Organisatoren zu Israel und den USA sowie die elektronische Musik von zwei ziemlich drüber wirkenden Typen hat mich doch nachhaltig irritiert. Und verändert.
Heute kann ich sagen: Dieser Verrückte (Torsun), der da auf einem wackligen Hänger am Leipziger Platz neben einer Hundertschaft Bullen Abriss veranstaltete, hat meinen Horizont erweitert – für elektronische Musik und diese mir lange leicht suspekt erschienenen «Antideutschen». Zugegebenermaßen gab es noch ein paar mehr Einflüsse und Zwischenschritte, die ich zusammen mit den Genossinnen und Genossen meiner Antifa-Gruppe gegangen bin. Aber was in meiner politischen Bildung folgte, waren viele glückliche Momente der Erkenntnis über diese Gesellschaft. Weniger durch Egotronic und Mila26 als durch Theodor W. Adorno und Wolfgang Pohrt. Und so wurde ich selber einer dieser Antideutschen.
Torsun und Egotronic habe ich danach noch viele Male gesehen und das an unterschiedlichsten Orten – solche, deren Verschwinden Narben in mir hinterließen (Topf Squat) und solche die ich Bomber Harris überlassen würde (Stadthalle Ilmenau, irgendein Platz in Gera, wo die Antifa Gera ein Open Air organisierte, etc.). Egotronic ist für mich mehr als antideutsche Gegenkultur und Lebensbejahung in Musikform. Egotronics/ Torsuns Musik ist eine Konstante in meinem Leben. Mit seinen Liedern verknüpfe ich Momente, Erlebnisse und Situationen, die mich geprägt haben. Seine Musik verbindet mich mit den geliebten Menschen, ohne die ich diese Gesellschaft kaum ertragen könnte. Mal habe ich Torsuns Wirken mal mehr, mal weniger beiläufig verfolgt – aber immer mit großer Wertschätzung für einen, der Kurs gehalten hat gegen Antisemitismus und Deutschtum, für eine Solidarität mit Israel, die sich nicht von der jeweils aktuellen Regierung in Tel Aviv oder der Propaganda der Palästina-Lobby ausreden lässt. Torsun verschwindet aus dem Leben in einer Zeit, die Genossen wie ihn dringender denn je braucht. Er fehlt.

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