Gegen die AfD und gegen rechte Hegemonie

Karl Meyerbeer freut sich, dass die Kritik am staatstragenden, aber inhaltsleeren Antifaschismus angekommen ist und schlägt vor, die Ursachen der Faschisierung zu thematisieren: Den Kulturkampf um Nationalismus, Geschlechterverhältnisse, Ökologie sowie die Verknüpfung von Rassismus und sozialer Frage.

«Antifaschismus muss man selber machen» – das war nicht nur das Motto der Demo des Plätze-Bündnis am 20. Januar 2024 in Erfurt, sondern auch einer ganzen Reihe von Kundgebungen des VVN-BdA kurz danach. In Erinnerung an die linksradikalen Kampagne «Alles muss man selber machen» (AMMSM), beschlich mich eine gewisse Skepsis – ging es hier um Etikettenschwindel, sollte ein Motto angeeignet werden, um den staatstragenden Antifaschismus der Parteien und Verbände als selbstorganisierten darzustellen? Die Demo am 20.1. hat meine Vermutung als Vorurteil entlarvt. Mit der Entscheidung, keine Politiker*innen und Funktionär*innen sprechen zu lassen und der inhaltlichen Ausrichtung der Redebeiträge, war die Zielrichtung der Demo klar: Rassismus wurde nicht als alleiniges Problem der extremen Rechten, sondern als gesamtgesellschaftliches dargestellt, ergo seine Bekämpfung auch nichts, dass sich darin erschöpft, die AfD zu ächten.

Ich will nicht verhehlen, dass die Freude über diese Stoßrichtung auch damit zu tun hat, dass die Kritik am staatstragenden Antifaschismus anscheinend angekommen ist – wer freut sich nicht, «haben wir doch schon immer gesagt» sagen zu können. Die Besserwisserei beiseite gelegt, glaube ich aber auch, dass eben diese Strategie in der aktuellen Lage genau die richtige ist. Die Correctiv-Veröffentlichung im Januar zeigt nämlich noch mal klar und deutlich: dass es der gesellschaftlichen Rechten gerade sehr gut gelingt, ein Lager zu bilden, dass sowohl in der Lage ist, sich im politischen Tagesgeschäft gegenseitig zu unterstützten (durch Kohle, Personalstellen, Straßenaktivitäten, …) als auch eine langfristige Strategie verfolgt. Das aufgedeckte Treffen war nur ein Ereignis, bei dem diese Entwicklung bewusst resümiert und in die Zukunft diskutiert wurde. Das Besondere war, dass die Konsequenz des rechten Denkens hier mal explizit zu Ende gedacht wurden: Lager und Deportation sollen also auf lange Sicht nicht mehr nur gegen Geflüchtete, sondern auch für andere Störenfriede (politische Gegner, nicht-weiße Deutsche) in Stellung gebracht werden. Darüber kann man sich empören, darf aber nicht vergessen, dass hier nur die Spitze vom Eisberg zutage tritt. Der ganze Brocken ist in den letzten 30 Jahren entstanden und wurde geformt (gefroren?) durch erfolgreichen rechten Kulturkampf an verschiedenen Themen: Nationalismus, Geschlechterverhältnisse, Ökologie sowie der Verknüpfung von Rassismus und sozialer Frage.

Nationalismus ist die Idee, dass die Welt in staatlich organisierten exklusiven Clubs organisiert ist (und auch sein soll) und eine Geburtenlotterie über Lebenschancen entscheidet. Die Idee ist mit dem Nationalstaat in die Welt gekommen und wurde lange auch von bürgerlich-liberaler Seite kritisiert, während ein Gutteil der Linken lange der Nationalen Befreiung einiges abgewinnen konnte. Beides hat sich seit den 1980er-Jahren geändert: Dass die Ergebnisse der Geburtenlotterie heute auf eine Art verteidigt werden, die in Kauf nimmt, dass jedes Jahr Tausende Menschen im Mittelmeer ertrinken, ist Common Sense im bürgerlichen Politikbetrieb – das war es 1980 nicht, als die Rechte ihre Kulturkampf gegen den Kosmopolitanismus aufgenommen hat. Die Rechten waren hier also langfristig erfolgreich, die weltanschauliche Grundlage der Remigrationspläne (der Nationalismus) ist in der Mehrheitsbevölkerung kaum umstritten. Was bedeutet: Eine Anti-AfD-Politik, die zum Nationalismus schweigt, sich aber über die Remigrationspläne echauffiert, wird ihre Ziele nicht erreichen, weil die Selbstverständlichkeit des Nationalchauvinismus Ursache des Erfolgs der AfD ist, nicht ihre Folge.

Ähnliches kann man zu den Themen Geschlechterverhältnisse und Ökologie argumentieren: Wenn in weiten Teilen Thüringens der Common Sense der Mehrheitsgesellschaft darin besteht,, dass Gender-Gaga und Windräder dafür verantwortlich sind, dass die Lage dort beschissen ist, dann kann die AfD daran perfekt anknüpfen – und wenn Linkspopulist*innen, Konservative und die FDP eben diese Vorstellungen bestärken, dann stärken sie Verhältnisse, in denen die AfD (und andere Nazis) sich bewegen können, wie der Fisch im Wasser.

Letzter Punkt, die Verbindung von sozialer Frage und Rassismus: Es ist offensichtlich, dass die soziale Lage in weiten Teilen Thüringens nicht so richtig geil ist: Die Löhne sind niedrig; die Mieten steigen vor allem in und um die Städte; soziale Infrastruktur ist auf dem Land kaum vorhanden, in der Stadt unter starkem Kostendruck; der ÖPNV ist ebenso kaputt wie das Gesundheitssystem. Die Rechten machen erfolgreich damit Politik, dass sie den Armen einreden, an diesen Zuständen seien «die Ausländer» schuld. Wer darauf damit reagiert, allein diese (zweifelsohne rassistische) Aussage anzugreifen, ohne das auf diesem Umweg angesprochene Problem (soziale Ungleichheit) zu bearbeiten, hat den Akteuren, um deren Köpfe hier gestritten wird, wenig mehr anzubieten als einen Zeigefinger: «Eure Lage rassistisch zum Thema machen, das geht aber nicht!». Abstrakter formuliert: Vielen, die unter den Verhältnissen leiden, hat der staatstragende Antifaschismus wenig mehr anzubieten als Pädagogik. Die Stärke eines linken Antifaschismus wäre nun, aufzuzeigen, wie die Verhältnisse zum Problem für Menschen werden und nicht erst ihre Übersteigerung durch Rechtspopulist*innen oder Neonazis – und daraus Handlungsschritte abzuleiten, in denen man als linke Bewegung offenen Rassismus ebenso angreift wie Sozialchauvinismus, Armut, Sexismus, usw. usf.

Dieser Ruf zur Verbindung von Kämpfen soll nicht leugnen, dass die herrschende Ordnung für Geflüchtete in Thüringen ganz besonders krass zum Problem wird. Aber das zeigt sich halt nicht nur in der Straßenbahn, sondern auch und viel systematischer im Lager und auf dem Amt – da, wo im Moment die AfD noch nicht so viel zu sagen hat. Und, wieder für die thematische Breite argumentiert: Erwerbslose und Wohnungslose kriegen oft genug die Schikanen ab, die vorher an Geflüchteten ausprobiert wurden, siehe die Debatte um eine Bezahlkarte und die faktische Residenzpflicht [1] für viele Leistungsempfänger*innen. Diese ganze Scheiße zu benennen, herauszuarbeiten, wie die Rechten Politik gegen alle machen, die nicht einer kleinen Elite angehören, ist notwendige Bedingung, um überhaupt eine Chance gegen die langfristige Metapolitik von Rechts zu haben. Insofern war die Entscheidung, am 20.1. in Erfurt zumindest beim Thema Flucht/Migration Tacheles zu reden, ein Schritt in die richtige Richtung. Nötig ist jetzt, daran weiter zu machen, darauf hinzuweisen, wo der bürgerliche Politikbetrieb unwürdige Scheiße baut und darüber hinaus Forderungen aufzustellen, die hier und jetzt das Leben für alle besser machen: Es geht darum, die parlamentarische Politik von links unter Druck zu setzen, damit sie damit anfangen, linke Politik zu machen, statt sich rechts anzubiedern und dann mit dem Zeigefinger zu kommen, wenn die Rechtsentwicklung aus dem Ruder läuft [2].

Ich vermute, einen solchen Druck kann man nur als Bündnis aufbauen. Aber vorrangiges Ziel von antifaschistischen Bündnissen darf nicht sein, eine Volksgemeinschaft gegen rechts zu schmieden, also alle Konflikte im Namen der Anti-AfD-Linie zu überpinseln. Viel mehr ginge es darum, um linke Bündnisse im Feld Antifaschismus zu ringen. Das Plätze-Bündnis sagt es in einem kurzen Auswertungspapier zur Demo vom 20.1. so: «Ein Burgfrieden nur gegen die AfD hilft nicht, wenn er auf dem Rücken derer baut, für die institutioneller Rassismus und rechte Gewalt zu täglichen Begleitern gehören.» Das ist richtig, aber nicht weit genug gedacht: Ein Burgfrieden hilft auch da nicht, wo er die gesellschaftlichen Ursachen der Faschisierung unangetastet lässt, indem er zentrale Themen langfristiger Metapolitik der Rechten – Nationalismus, Geschlechterverhältnisse, Ökologie sowie die Verknüpfung von Rassismus und sozialer Frage – außen vor lässt.


[1] Faktische Residenpflicht, weil Leistungsempfänger*innen für den Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen müssen, was vom Verwaltungsablauf her bedeutet, dass sie innerhalb von zwei Tagen auf Post vom Amt reagieren müssen, daher faktisch nicht einfach wegfahren können.

[2] Das selbe Muster hatten wir im Übrigen auch 1992, als der Wahlkampf aller relevanten Parteien sich um das Asylrecht drehte. Als dann die Häuser brannten und die Toten nicht mehr übersehen werden konnten, standen die Bürgerlichen mit traurigen Kulleraugen vor den Opfern ihrer eigenen Kampagne. Das selbe Muster hatten wir auch 2000 mit dem Aufstand der Anständigen. Der Unterschied zu früher ist, dass die verlogene Mitte sich 1992 noch rechtfertigen musste: Der damalige Bundespräsident hat auf einer bundesweiten Demo in Berlin «Heuchler»-Rufe und Eier abgekriegt, während Herr Meier bisher unbeschadet von jeder Demo nach Hause gegangen ist – und trotzdem einen marodierenden schwarzen Block herbei redet, den es leider heute nur noch selten gibt.

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