Im Keller der Ohnmacht

Was manche Punksongs ihm zu sagen haben, versucht Simon Rubaschow auf den Grund zu gehen.

„Zwei Getränke zum Preis von einem / Ach, könnt’ doch jeder Tag ein Sonntag sein / Ich sammele Treuepunkte im Waffenladen / Ich will der Gesellschaft schaden“1
Zeilen, die hängen blieben, zumindest bei mir, auch nachdem ich den Keller, in dem das Konzert stattfand, verlassen hatte, zwei EPs in der Tasche. Kackschlacht, von denen die obigen Zeilen sind, hatten überzeugt – musikalisch und textlich. Und beim erneuten Hören zu Hause die Frage: Was ist es, was die Texte von dem Punk, den ich sonst die letzte Zeit hörte, unterscheidet?

„Ich kenne euch schon ewig / Doch jetzt haben wir ein Problem / Ohne Punkeruniform / Seid ihr einfach nicht mehr schön“2

Die Feindseligkeit gegenüber dem Bestehenden sticht heraus. Aber sie zeichnet Punk, wo er nicht albern oder Kaufhausradio-tauglich wird, insgesamt aus. Bei Kackschlacht wird sie in einem offenen Zynismus geäußert, der selten ist. Die Unversöhnlichkeit trifft nicht nur die scheinbar auf der anderen Seite stehenden, sondern auch das eigene Umfeld, die eigene Szene. Dennoch, der Gestus der Abgrenzung reicht nicht hin, um zu erklären, warum die Songs mir nicht aus dem Kopf gehen, zumal Mordphantasien oder die Ablehnung von Sauberkeit in Szeneläden – beides taucht auf – mich als Verbalradikalität und identitärer Mist eher abschrecken.
Den Schlüssel zur Antwort finde ich im gleichen Keller, einige Wochen zuvor:

„Alle stehen für die gerechte Sache ein / Hut ab vor denen mit diesen albernen Mützen / Die sich nicht zu blöd sind Nazi-Demos zu schützen / Cops United“3

Scheinbar ganz anderes, ins alberne tendierende Ironie, Spaßpunk; und dennoch: Etwas verbindet diese Bands und ihre Texte. Die gemeinsame Grundlage ist die Ohnmacht, die in den Texten beider Bands zum Ausdruck kommt. Das Ausgeliefert-Sein gegenüber der Tatsache, dass die Menschen in dieser Gesellschaft nicht besser sind als die Gesellschaft selbst, auch da nicht, wo sie Nietengürtel tragen; dass es diese Gesellschaft ist, die ihre Insassen Tag für Tag beschädigt und sich dagegen kaum Widerstand regt.

„Dienstag Mittag dann der gleiche Mist / Ich frage mich ob du bescheuert bist / Ich will mit dir nicht über Arbeit reden“4

Feindseligkeit und Ironie, Zynismus und Albernheit, erscheinen als gegenteilige Verarbeitungsformen dieser Ohnmacht, in der sich gegenüber dieser Ohnmacht ermächtigt wird. Beide brechen das Schweigen im Alltag, das Runterschlucken des Widerspruchs, und beide bringen die erbärmliche Realität auf den Punkt. Die eine indem sie anprangert, die andere durch entblößende Perspektivenübernahme. Dadurch imaginieren sich beide auch in eine Machtposition, denn letztlich unterscheidet sich die Gewaltphantasien des einzig wahren Punkers, der wütend erklärt, was alles kein Punk sei, wenig von der des Polizisten, und sie zu äußern, erzeugt in beiden Fällen einen entlastenden Genuss.

„Gib’ mir bitte einen Grund / Hoffentlich baut jemand Mist / Dann wird er meinen Knüppel spüren / Bis er nicht mehr weiß, wer er ist“5

Gerade dieser Genuss, der im Falle ‚Die Bullen’ als spielerisch erotisierter daherkommt, ist es, der mit dem Machtgestus bricht. Letztlich, so lassen die Texte beider Bands durchschimmern, ist das scheinbar ganz Andere, das angeprangert oder ironisiert ist, nicht so weit von einem selbst weg. „Die immer gleiche Punkerjacke“ hängt im eigenen Schrank, die Verkehrungen von Szeneslogans („All criminals are bastards“, „Cops united“) verweist darauf, dass Corpsgeist und Militanzfetisch auch in den eigenen Ketten mitlaufen. Diese Verschränkung macht einen Bruch sichtbar, der sonst gerade im Punk und in explizit linksradikaler Musik verschleiert wird: Der Bruch zwischen Alltag und Konzertsituation und damit die Ventilfunktion der Musik. Die vehemente Kritik, die in den Texten steckt, dient auch dazu, das notwendige Schweigen im Alltag erträglicher zu machen, das Schweigen bei der Polizeikontrolle, auf der Arbeit und im Freund_innenkreis.

„Personalausweiskontrolle / Sind sie nüchtern / Das Winken mit dem Drogentest soll sie nur ein bisschen / Einschüchtern…“6

Die Position der Macht, die sich selbst als scheinbar entblößt, enthüllt eine Ohnmacht, gegen die zwar angesungen wird, aber in dem Wissen, dass das Singen nichts an ihr ändern wird. Gerade in ihrem Gestus der Ermächtigung drückt sich aus, dass die Macht der Sprache darin liegt, die Wirklichkeit zum Ausdruck zu bringen, sich diese Wirklichkeit aber nicht davon beeindruckt zeigt, zum Ausdruck gebracht worden zu sein. Weder interessiert es den Punker im Publikum, dass er gemeint ist, noch die Polizei, dass Samstag Nacht in einem Keller Spottlieder auf sie gesungen werden; oder anders formuliert: Die Wirklichkeit kann durch Sprache zwar interpretiert werden, sie zu verändern, liegt aber nicht in rein sprachlicher Praxis – und damit auch nicht im Punksong. Kackschlacht und Die Bullen bringen so zum Ausdruck, was „Alerta Antifascista“-rufende Antifas im Publikum nicht verstehen und das ist es, was mir an ihnen spontan gefiel: Ihre Musik erlaubt eine Erfahrung der eigenen Ohnmacht, die es erleichtert, mit ihr zu leben, ohne sich von ihr dumm machen zu lassen und zu resignieren.

„1945 sah es hier wirklich besser aus / Alles war kaputt und ich war gut drauf / Alle hatten Hunger es herrschte große Not / Die Frauen hatten Arbeit und die Männer waren tot“7

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1
Kackschlacht: Fußgängerzone

2
Kackschlacht: Dosenbier

3
Die Bullen: Cops United

4
Kackschlacht: Geladen

5
Die Bullen: Political Tendencies

6
Die Bullen: Kumpelhaft

7
Kackschlacht: Weg

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