Die Hoffnung auf Räume solidarischer Kritik und gemeinsamem Hinterfragens hat Simon Rubaschow noch nicht aufgegeben. Daher wirft er einen kritischen Blick auf das Konzept des ‚Empowerments’. Der Autor ist Mitglied im Club Communism.
Insbesondere in (queer-)feministischen und anarchistischen Kontexten (aber auch anderswo in der linken bzw. linksradikalen Szene) erfährt das Konzept ‚Empowerment‘ eine anhaltende Beliebtheit. Ob mit dem Begriff ‚empowern‘ oder ohne ihn, sich gegenseitig in seinen Bedürfnissen bestärken und gemeinsam gesellschaftliche Handlungsanforderungen, die sich nicht gut anfühlen, abwehren ist populär. Handlungspotenziale aufzubauen, indem die eigene Macht erlebbar gemacht wird – in Praxis-Workshops, der Selbstorganisierung von Veranstaltungen oder darin, die Risse im System durch Massenproteste spürbar zu machen – sind vom Syndikalismus Georges Sorels über die Riot-Grrl-Bewegung bis zu den Mobilisierungsaufrufen der IL Bestandteil radikaler Praxis. Aber auch der positive Bezug auf Role-Models, sei es aus den fiktionalen Kulturprodukten, lebende oder tote Personen oder auf Handlungsformen, sei es aus der Vergangenheit (Stichwort: 80er-Jahre Autonome mit Helm), sei es aus anderen Weltregionen (Stichwort: Griechische Autonome mit Helm) dient dazu, sichtbar und nachvollziehbar zu machen, dass man hier und jetzt anders handeln könne.
Bemerkenswert ist dabei, dass gerade queerfeministische, anarchistische oder am Postmarxismus orientierte Zusammenhänge sich für Empowerment begeistern, wo doch gerade sie ob ihrer Nähe zu poststrukturalistischen Theorien die Probleme dieses Ansatzes vor Augen haben müssten.
Individualisierte Ohnmacht
Das erste Problem mit Empowerment bringt Ulrich Bröckling, der ehemalige Autor der anarchistischen Zeitschrift Der Schwarze Faden in seinem Hauptwerk Das unternehmerische Selbst auf den Punkt. Es ist an deutschen Soziologie-Instituten so populär, dass kaum eine anarchistische, postmarxistische oder queerfeministische Szene ohne jemanden auskommt, der einmal eine Hausarbeit dazu geschrieben oder zumindest ein Seminar dazu besucht hat.
Schon die Geschichte des Begriffs müsste die Genoss_innen stutzig machen, liegen die „Wurzeln des Empowerment[, der] in den 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts [als] Begriff geprägt wurde“ keineswegs ausschließlich bei an Emanzipation Interessierten: Neben „Bryant S. Solomons aus dem Geist der Bürgerrechts- und Black-Consciousness-Bewegung geschriebenen Handbuch Black Empowerment. Sozial Workers in Oppressed Communities tauchte er 1976 zum ersten Mal als ein Buchtitel auf; ein Jahr später erschien Peter L. Bergers und John Neuhaus‘ Manifest To Empower People, ein konservativ-kommunitaristisches Plädoyer für die Stärkung von Nachbarschaft, Familie und anderen intermediären Instanzen, die den überstrapazierten Wohlfahrtstaat entlasten“ (185). Linken wie rechten Empowerment-Konzepten ist dabei, so Bröckling, gemeinsam, dass im „Vordergrund nicht die Machtverhältnisse selbst [stehen], sondern das Gefühl der Ohnmacht, das sie bei den Machtlosen erzeugen.“ (192)
Die zwei Grundlagen von Empowerment-Politik fasst Bröckling dabei wie folgt zusammen: „Erstens wird es möglich, disparate Problemlagen unter einer gemeinsamen Definition zusammenzufassen. [] Aus der einheitlichen Diagnose folgt zweitens eine ebenso universelle Therapie: Empowerment. [] Die zugrunde liegende Rechnung ist simpel: Je mächtiger sie sich fühlen, desto weniger Probleme werden sie haben – und verursachen.“ (192)
„Es gibt in dieser Perspektive keine Schwächen, sondern nur in die Latenz abgedrängte oder unterentwickelte Stärken, die darauf warten, bewusst gemacht und zur Geltung gebracht zu werden. Die Empowermentprogramme konstruieren also nicht nur eine homogene Gruppe von Ohnmächtigen, sondern erklären auch im gleichen Zuge, dass diese sich nur deshalb ohnmächtig fühlen, weil sie ihre eigene Macht noch nicht erkannt und in actu [=in Wirklichkeit, S.R.] erfahren haben.“ (196)
Empowermentstrategien von links und rechts verbindet also, dass sie Ohnmacht als gesellschaftliches Verhältnis verleugnen, indem diese Ohnmacht individualisiert wird. Ohnmacht wird so – und das ist das Attraktive an Empowerment – zu einem innerhalb der derzeitigen Verhältnisse überwindbaren Zustand. Die Ohnmacht zu analysieren und festzustellen, dass ihre Abschaffung derzeit nicht absehbar ist und gewiss nicht kurzfristig zu realisieren ist, man sich also mit der Ohnmacht praktisch arrangieren muss und somit das Unglück Bestandteil des eigenen Lebens ist und sein wird, ist bitter. Wird stattdessen die Ohnmacht zu einem individuellen Phänomen, kann es auch individuell weg-empowert werden. Gesellschaftliche Verhältnisse geraten so aus dem Blick, selbstverständlich ohne dabei zu verschwinden. Mächtig-Sein liegt in der Möglichkeit und damit auch der Verantwortung der_des Einzelnen, wer schwach bleibt, ist selbst schuld, und so ist das Fazit Bröcklings zugespitzt: Empowerment=Neoliberalismus. Das lässt Empowerment regelmäßig gegen eine Wand rennen, sofern es nicht in eine Szene, die sich zunehmend von der Alltagswirklichkeit abkapselt, eingebettet wird.
Authentische Bedürfnisse
Zudem muss das empowerte Subjekt nicht nur die äußere Ohnmacht, sondern auch die eigene Ohnmacht an sich selbst verdrängen. Die gesellschaftliche Herrschaft tritt dem Individuum nicht nur äußerlich gegenüber, sondern es ist grundlegend durch sie geformt und beschädigt. Genau diese Beschädigungen müssen, damit es ein Subjekt gibt, dass gegen die äußere Herrschaft empowert werden kann, zu Stärken umgedeutet werden. Die herrschaftliche Macht kommt von außen, ihr entgegentreten soll ein empowertes, also mit Gegen-Macht ausgestattetes, auf seine innere Stärke vertrauendes Subjekt.
Die herrschende Macht erscheint in der Logik des Empowerments rein repressiv. Sie ist ein die Fähigkeiten und Bedürfnisse des Individuums einengender Panzer, der aufgesprengt werden muss. So fällt die politische Praxis des Empowerments hinter Michel Foucaults Machttheorie zurück, einem – wenn nicht dem – zentralen poststrukturalistischem Stichwortgeber linksradikaler Politik. Foucault begreift Macht nicht nur als repressiv, sondern auch als produktiv; ein Subjekt, das vor der Macht da war und von ihr einfach unterdrückt wird, gibt es nicht. Stattdessen entsteht das Subjekt erst in und durch die Formung durch die Macht.1 Das bedeutet, dass die scheinbar eigenen, authentischen Bedürfnisse selbst Produkte der gesellschaftlichen Verhältnisse sind.
Diese Feststellung ist nicht falsch zu verstehen: Die eigenen Bedürfnisse realisieren zu können ist für das eigene Wohlbefinden zentral und daher das Ziel linksradikaler Politik. Und das Empfinden subjektiver Ohnmacht gegenüber gesellschaftlichen Zwängen ist ein relevanter Hindernisgrund daran, neben etwa objektiver Ohnmacht, d.h. beispielsweise zu wenig Geld, sich das zu kaufen, was man gerne hätte.
Nur: Die eigenen Bedürfnisse zu realisieren bedeutet zunächst einmal nur, sich selbst als das, was man ist, anzuerkennen, als Produkt und Teil dieser Gesellschaft. Und es gehört nicht nur vernünftigerweise zu emanzipatorischer Praxis, die Realisierung der Bedürfnisse von Nazis zu unterbinden, sondern auch die eigenen Bedürfnisse daraufhin abzuklopfen, ob sie sexistisch, rassistisch usw. sind, bevor man sie realisiert – und gegebenenfalls diese Bedürfnisse eben unrealisiert zu lassen.
Der Einwand gegen diesen Punkt, dass diese Erkenntnis banal ist und in linksradikale Empowerment-Konzepte eingedacht ist, mag stimmen. Aus diesem Eingedenken folgt die Strategie, genau das zu empowern, was die Macht scheinbar oder tatsächlich unterdrückt und das daher Widerstandspotenzial birgt. Dies ist die Strategie des Satanismus: Weil die Kirche und der von ihr propagierte Glaube eine repressive Macht ist, die dem individuellen Glück entgegensteht, braucht es die Umkehrung aller Werte und Normen. Eine Gegen-Kirche wird entworfen, in der die Symbole und Rituale der herrschenden Kirche umgekehrt sind und all das, was laut ihrer Moral gut ist, schlecht – und umgekehrt. Diese Strategie bleibt in der Logik des Bestehenden und häufig auch in dessen Kategorien. Sie schafft ebenso wie die herrschende Norm einen Raum, in welchem der Ausdruck bestimmter Bedürfnisse illegitim wird – sei es das Bedürfnis nach modischer Kleidung in der Hipster-Verachtung szenelinker Milieus oder die Marginalisierung femininer Identitäten und Ausdrucksformen in lesbisch-feministischen Kontexten.
Diese Strategie hat zudem noch einen weiteren Haken: Nicht alles Unterdrückte, Verachtete und Pathologisierte etc. wird zu Unrecht unterdrückt oder pathologisiert, auch die unvernünftigen herrschenden Verhältnisse enthalten Spuren der Vernunft. Man muss hierfür nicht an den erwähnten Satanismus denken und auch nicht an Internetforen, in denen sich an Anorexie Erkrankte gegenseitig zum Weiterhungern empowern. Schon der bürgerliche Anspruch auf argumentative Begründungen von Positionen und Höflichkeit in Diskussionen sind keine bloße Repression eines freien Umgangs miteinander, sondern Möglichkeitsbedingung eines Austausches, der über das bloße Sichtbarmachen der je eigenen Meinung hinausgeht.
Schließlich ist Empowerment letztlich der Nachvollzug der Logik der herrschenden Macht selbst. Das Problem, das Empowermentstrategien bearbeiten wollen, ist die eigene Schwäche, die durch Selbststärkung überwunden werden muss. Das über sich selbst bestimmende, seine eigenen Bedürfnisse durchsetzende Individuum, mithin also das bürgerliche, männliche, weiße Subjekt der herrschenden Verhältnisse ist es, das hierfür das Modell und angestrebte Ideal bildet. Ein Recht auf Schwäche kennt Empowerment-Politik nicht bzw. nur dann, wenn die Schwäche zum Ausdruck gebracht und als Mittel der eigenen Zugehörigkeit zur Gruppe der Sich-Empowernden in Funktion gesetzt werden kann. Dabei ist das Recht auf stumme „Momente der Schwäche und Nichtfunktionieren [] nicht etwas, das für die Revolution mal beiseite getan werden kann []. Schwäche ist die Negation einer Welt der Stärke, Härte und Kälte. Und eine solche Härte kann sich auch in einem Lächeln ausdrücken.“2
Ausgangspunkte der Erkundung
Sich auf der Basis gemeinsamer Ablehnung des Bestehenden und des geteilten Wunsches, sich trotz und gegen dieses Bestehende zu verwirklichen, zusammenzutun, soll mit den Ausführungen nicht kritisiert werden. Und Szenen können gerade dafür einen Schutzraum liefern, in denen eine solidarische, wechselseitige Unterstützung möglich ist.3 Diese wechselseitige Solidarität zum Empowerment zu nutzen, also der wechselseitigen Selbstbestätigung und Ausbildung einer gemeinsamen Identität, bedeutet jedoch, letztlich vor den Verhältnissen zu kapitulieren. An Identifizierungsangeboten in all ihren Facetten besteht dank Kultur- und Werbeindustrie, die noch jede subkulturelle Innovation und jede irgendwie als stark oder glücklich vermarktbaren Selbstentwurf früher oder später in einen Abenteuerurlaub, eine Modelinie, eine Zeitschrift oder ein Makeup verwandelt, kein Mangel. Woran ein Mangel besteht, sind Räume, in denen die eigenen Bedürfnisse solidarisch hinterfragt und kritisiert werden können. Räume, in denen die eigenen Beschädigungen, die hinter dem alltäglichen Funktionieren unsichtbar bleiben müssen, nicht verdrängt werden. Diese Beschädigungen anzuerkennen heißt jedoch nicht, sie in Stärken oder authentische Charakterzüge umzudeuten, sondern zu begreifen, dass die eigene Authentizität à-venir (also immer erst eine Kommende, noch nicht realisierte Authentizität) ist. In diesen Verhältnissen in sich selbst zu Hause zu sein ist nicht möglich,4 das ist der objektive Gehalt von ‚Entfremdung‘, und gegen diese Entfremdung hilft nicht die Besinnung auf vermeintlich repressiv unterdrückte Bedürfnisse, sondern die Suche nach dem noch Fremden, das das Gegengift gegen Entfremdung ist.
Diese Suche, diese Erkundungen werden durch das Hinterfragen der eigenen Bedürfnisse5 in einem solidarischen Kontext möglich, der diese Form der Selbstverunsicherung in einer Welt, die von einem fordert, immer sicher zu sein, erst erlaubt. Judith Butler – die Hausphilosophin des Queerfeminismus, sich selbst auf Foucault beziehend – formuliert dies am Ende ihres Werks Das Unbehagen der Geschlechter wie folgt: „Die Aufgabe ist nicht, alle und jede neue Möglichkeit qua Möglichkeit zu feiern, sondern jene Möglichkeiten zu reformulieren, die bereits existieren [] Würden die Identitäten nicht länger als Prämissen eines politischen Syllogismus [=logischer Schluss, S.R.] fixiert und die Politik nicht mehr als Satz von Verfahren verstanden, die aus den angeblichen Interessen vorgefertigter Subjekte abgeleitet werden, so könnte aus dem Niedergang der alten eine neue Konfiguration der Politik entstehen.“ (218)
Dieses Reformulieren braucht dreierlei. Zum einen den solidarischen Kontext, in dem es möglich ist, seine eigenen Beschädigungen und Schwächen offen zu thematisieren, ohne dass sie als positive Identitätsbestandteile referiert werden. Es braucht einen Ort der solidarischen, wechselseitigen Kritik auch der Bedürfnisse. Zudem braucht es zweitens eine Sprache, in der diese Reformulierung möglich wird. Judith Butler geht etwas leichtfertig davon aus, dass dies mit der bestehenden Sprache möglich ist. Ob es für das, was im Zuge der Erkundungen gefunden wird, jedoch schon Ausdrucksformen gibt, ist ungewiss.6 Über die Solidarität und die Sprache hinaus darf jedoch drittens nicht vergessen werden: Ohnmacht ist objektiv und liegt außerhalb des Individuums. Es braucht zum Erkunden und zur Realisierung der beim Erkunden entdeckten Möglichkeiten materielle Ressourcen und praktische Handlungsfreiheit, auch außerhalb etwaiger Szenen und ihrer Gegenwelten. Und diese materiellen Ressourcen und praktischen Freiheiten verweisen darauf, dass auch eine anarchistische und queerfeministische Praxis nicht ohne einen Begriff von Gesellschaft und von der Produktionsweise dieser Gesellschaft auskommen kann – es also immer noch lohnt, de Beauvoir und Marx zu lesen.
1
Ein Gedanke, der sich etwa auch bei Marx im Begriff der ‚objektiven Denkformen‘ und insb. im berühmt-berüchtigtem Fetisch-Kapitel des Kapitals oder in Freuds Theorie der Triebstrukturierung und der Entwicklung der Psyche findet.
2
Ausführlich dazu die Genossin Maxi N. Conrady: Selbstmitleidig, weinerlich, peinlich, irgendwie egal in der Lirabelle #7.
3
Siehe dazu auch: Simon Rubaschow: Die unentdeckte Zeit, in Lirabelle #7.
4
Ein Gedanke, den Ernst Bloch fasst, wenn er schreibt: „Die wirkliche Genesis ist nicht am Anfang, sondern am Ende, und sie beginnt erst anzufangen, wenn Gesellschaft und Dasein radikal werden, das heißt sich an der Wurzel fassen []so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat“.
5
Und die Lirabelle bot schon einen Ort, für Versuche solcher Hinterfragung statt des Empowerments und ist dementsprechend auch ein Ort der Erkundungen. Vgl. Mona Alonas Beitrag ‚Großevents – der Linken liebstes Kind‘ in Lirabelle #10 & Max Unkraut: Annäherungen an das Unfassbare, Lirabelle #9.
6
Ein Problem, auf das Luce Irigaray, eine psychoanalytisch orientierte Feministin der 70er Jahre, in ihrem sehr lesenswerten Buch Das Geschlecht, das nicht eins ist ebenso hingewiesen hat wie die Situationistische Internationale (vgl. dazu der Aufsatz Proletarität – Kunst – Sprache von dem Autor_innenkollektiv BBZN unter http://www.studienbibliothek.org/bbzn/BBZN_beitrag_2.pdf). Ein aktuelles Beispiel die Ergebnisse solcher Erkundungen findet sich unter http://www.akweb.de/ak_s/ak614/04.htm.