Ich bin kein Freund der Polizei. Der Beruf zieht einfach unangenehme Typen an, solche, die sich was dabei abholen, Andere herum zu kommandieren. Wie neulich, als ich in Erfurt eine Kreuzung überqueren wollte, die wegen einer Nazi-Demo abgesperrt war. An der Ecke stand eine Polizeirotte und bevor ich auch nur fünf Meter dran war, bellte eine Beamtin mir auf Bayrisch „Hiergehtsnichtweiter“ entgegen. Ich bin dann zu ihr hingegangen und hab sie was gefragt, sie antwortete mit „Hiergehtsnichtweiter“, erst nach meiner besonders deutlich artikulierte Frage, ob sie denn deutsch spreche (und das war in dem Moment überhaupt kein Seitenhieb auf ihren Dialekt, sondern darauf, dass sie mich ja scheinbar nicht verstanden hatte), entspann sich ein kurzes Gespräch über Sinn und Zweck ihres „Hiergehtsnichtweiter“, dass dann aber ein anderer Polizist gekonnt durch ein ebenfalls gebelltes „Gehensiejetztfünfmeterzurück“ unterbrach. Wie gesagt, ich mag Polizisten nicht. Eine Institution, die ganz besonders in Deutschland dazu da ist, Andere zu gängeln und unbotmäßig Aufbegehrenden auf den Kopf zu hauen, zieht nun mal autoritäre Charaktere an. Und damit ist noch nichts über die gesellschaftliche Funktion der Polizei im Kapitalismus gesagt – Eigentumsordnung schützen etc. pp.
Dass andere Menschen, die Polizist*innen nicht mögen, diese mit einer ungemein groben Bezeichnung für Vulva oder als uneheliche Kinder bezeichnen, finde ich immer ein bisschen merkwürdig. Im Jahr 2022 wächst die Mehrheit aller Kinder in Patchworkfamilien auf, wen soll die Bezeichnung „Bastard“ da noch beleidigen? Und was haben denn ausgerechnet Antiautoritäre, Linke, Punker gegen unehelich geborene Kinder? Und mutmaßlich heterosexuelle Hooligans gegen Vulven? Aber vielleicht sind diese Graffiti ja auch allesamt von Nazis, wobei ich mich bei letzteren frage, wieso sie den Sachverhalt nicht auf Deutsch hinschreiben: „Alle Polizisten sind uneheliche Kinder“, kurz APsuK – das wäre mal eine deutschnationale, heteronormative und familialistische Beleidigung.
Es gibt eine Ausnahme in meiner Abneigung gegenüber Ordnungshüter*innen und das ist die Verkehrspolizei. Wenn ich Beamt*innen sehe, die Knöllchen verteilen, lächele ich ihnen zu, weil ich mich freue, dass die Stadt für Menschen mit Kinderwagen, Rollstuhlfahrer*innen und Radfahrer*innen gerade ein kleines bisschen lebenswerter wird. Gerät zur Geschwindigkeitsüberwachung finde ich super, weil ich zwar auch Deutsche eher nicht mag, die Idee, sie durch Verkehrsunfälle relativ zufällig zu dezimieren, aber nicht überzeugend finde. „Deutschland verrecke, aber nicht so!“ – das stand mal auf einem Flugblatt gegen die Thüringer Waldautobahn und es passt auch hier. Dass das Spießerradio vor „Blitzern“ warnt, finde ich verrückt. Die Botschaft ist ja: Fahrt hier bitte langsam, dann könnt ihr woanders unbesorgt auf die Tube drücken. Aber gut, wie neulich ein älterer Genosse sagte, es ist ein häufiger Irrtum, dass der gemeine Bürger was gegen Gewalt hat – es kommt nur drauf an, dass sie institutionalisiert, strukturell und von Oben nach Unten ausgeübt wird. Wäre ich Werbefuzzi und auf virales Marketing spezialisiert, würde ich die Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie anrufen und denen die Idee verkaufen, die Blitzerwarnungen zu finanzieren und dafür zu sorgen, dass danach gleich noch entsprechende Musik abgespielt wird: „Ich will Spaß, ich geb‘ Gas“, „Radar Love“, „Speedline Miracle Masterpiece“ – je mehr angefahrene Schulkinder, desto schneller ist die Cesna abbezahlt.
Meine Begeisterung für die Verkehrspolizei wurde unlängst wieder aufgefrischt. Auf einer großen Kreuzung – es war zufällig dieselbe, an der Wochen vorher die bellenden Bullen standen – war die Ampelanlage ausgefallen und ich durfte beobachten, wie zwei Polizisten den Verkehr regelten. Gleich einem Ballett tanzten sie auf der Kreuzung, ihre Körper zart im Kontrast zu den tonnenschweren Kraftfahrzeugen – die sie mit einer geschmeidigen Choreographie ihrer Kellen dirigierten. Dazu pfiffen sie im Takt auf der Trillerpfeife, wie es in der preußischen Ausführungsbestimmung zur Polizei-Verordnung über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen vom 1906 vorgeschrieben ist. Es war wirklich zauberhaft anzuschauen, voller Grazie, Dynamik, Verletzlichkeit und Kraft. Gerne hätte ich ein Video gemacht und einen Wiener Walzer drunter gelegt.
Die geschilderte Erfahrung hat meine Vorstellung einer humaneren Zukunft verändert. Früher habe ich in Diskussionen über eine postkapitalistische Gesellschaft und den Umgang mit dem jetzigen gesellschaftlichen Personal angesichts des offensichtlichen Bedürfnis nach Brumm-Brumm immer gesagt: Den Nürburgring können wir ruhig weiter betreiben, da können dann alle, die das anmacht, immer schön im Kreis fahren und Abgase inhalieren – wenn Autos nur noch dort eingesetzt werden, ist das sowohl sozial als auch ökologisch tragbar. Als Ergänzung dazu sage ich heute: Der Nürburgring muss nach der Revolution so umgebaut werden, dass er eine große Kreuzung enthält. Polizist*innen kommen nicht ins Bergwerk, werden auch nicht in stillgelegte Baumärkte eingesperrt, sondern regeln den Verkehr an besagter Kreuzung. Da es nach der Revolution viele erwerbslose Polizist*innen gibt, können sie sich abwechseln. Wer nicht auf der Kreuzung tanzt oder neue Choreographien entwickelt, verteilt Snacks und Getränke. Und ich sitze auf der Tribüne, esse frittierte Apfelringe und erfreue mich am Polizeiballett. Und daran, dass die ganze alte Scheiße – Eigentumsordnung; bellende, prügelnde, schießende Bullen; Städte, die vor allem für Autos gebaut sind – endlich vorbei ist. Ist ja auch lange genug gewesen.
PS: Ballerino ist die männliche Form von Ballerina. Ballerinao ist mein Vorschlag für eine geschlechtsneutrale Form.