Vom Privileg der Empathielosigkeit

Folgender Text ist eine verspätete schriftliche Reflexion auf das Scheitern der Veranstaltungs-AG des Prozess-Plenums, eines antisexistischen Arbeitszusammenhangs in Jena 2021-2022. Geschrieben ist er von einem der cis endo Männer, die in der AG aktiv waren. Es geht also auch um den eigenen Sexismus.

Worum geht es?

Das Prozess-Plenum zu langfristigen Umgangsformen mit sexueller/sexualisierter Gewalt in der linken Szene (folgend kurz: Prozess-Plenum) gründete sich im Anschluss an eine Veranstaltungsreihe, die Das schlechte Gewissen zusammen mit der AG-Ü30 im Juli 2021 durchgeführt hat. Hintergrund war die Wahrnehmung, dass nach den Outcalls in Jena und Saalfeld ein knappes Jahr zuvor die politische Aufarbeitung sexueller/ sexualisierter Gewalt in Jena ins Stocken geraten war. Ziel der Veranstaltungsreihe mit zwei inhaltlichen Veranstaltungen zu Betroffenenunterstützung und Awareness-Arbeit, einem FLINT*-Treffen und einem offenen Plenum zum Abschluss war es, innerhalb der linken Szene in Jena den Impuls zu setzen, diese politische Aufarbeitung wieder aufzunehmen und mehr Personen und Gruppen in den Prozess einzubinden, diese Aufarbeitung zu organisieren.
Aus dem Offenen Plenum ging dann auch das Prozess-Plenum hervor, das sich regelmäßig traf und versuchte, eine kontinuierlichere Arbeit aufzunehmen. Dafür strukturierte es sich in mehrere AGs, die zu Unterstützungsarbeit, Awarenessarbeit und zur Organisation von Veranstaltungen arbeiten wollten und arbeiteten.
Die Veranstaltungs-AG organisierte einen einzelnen Vortrag im November und eine zweite Veranstaltungsreihe im April mit zwei inhaltlichen Veranstaltungen, offenen Plena der AGs und einer FLINT*-Vernetzung. Sowie eine weitere Einzelveranstaltung über sexualisierte Gewalt an queeren Personen im August 2022, die durch Kritik an der Ausblendung queerer Perspektiven in den vorherigen Veranstaltungen eingefordert wurde.

Soweit, so gut?

So dargestellt scheint die Veranstaltungs-AG ein Erfolgsprojekt gewesen zu sein. Tatsächlich ist sie aber in mehrfacher Hinsicht gescheitert: Einerseits gelang es nur sehr begrenzt, die Arbeit auf mehr Personen zu übertragen. Die AG blieb klein, im Kern Bestand sie aus fünf Personen, weitere Personen konnten nicht dauerhaft eingebunden werden. Die Einbindung weiterer Personen scheiterte an verschiedenen Elementen, einerseits sicherlich der fehlenden Motivation, diese zusätzliche politische Arbeit (zumal in einem emotional belastenden Themenfeld) zu übernehmen. Andererseits dem ‚Dienstleistungscharakter‘ der Veranstaltungs-AG, die im Selbstverständnis dem Prozess-Plenum und auch der Unterstützungs-/Awareness-AG zuarbeitete, und daher vielleicht wenig Raum für ein Bedürfnis nach politischer Selbstentfaltung lieferte. Schließlich war die laufende Arbeit der Veranstaltungs-AG auch davon geprägt, dass zumindest ein Teil der aktiven Personen sich schon vorher aus politischer Arbeit kannte und entsprechend eingespielt war.
Entsprechend der Idee des Prozess-Plenums, antisexistische Politik nicht bloß an darauf spezialisierte Gruppen zu delegieren, sondern von der ganzen Szene einzufordern, sich einzubringen, waren diese Personen alle auch in andere politische Kontexte eingebunden und betrieben die Veranstaltungs-AG zusätzlich zu dieser Arbeit.

Geschlechterverhältnis in der Veranstaltungs-AG

Zunächst mag es erfreulich erscheinen, dass die Veranstaltungs-AG nicht mehrheitlich aus FLINT*-Personen bestand, also auch cis endo Männer die Verantwortung für antisexistische Arbeit übernahmen. Zugleich versäumte es die Veranstaltungs-AG, auf die Bedeutung ihrer geschlechtlichen Zusammensetzung für ihre eigene Arbeit zu reflektieren. Ich und die anderen cis endo Männer in der AG trugen an die Arbeit, die sie in ihrem Selbstverständnis neben ihrer anderen politischen Arbeit machten, eine sachliche und distanzierte Haltung heran. Sie reflektierten nicht, dass für die FLINT*-Personen in der Gruppe die gemeinsame, konkrete Arbeit zu sexueller/ sexualisierter Gewalt einerseits mit spezifischen Belastungen aufgrund von eigenen Erfahrungen einherging, andererseits der Erfolg der Veranstaltungen eine größere auch emotionale Bedeutung hatte und sie sich daher mehr Druck machten. Diese Nicht-Reflexion der Rolle des eigenen Geschlechts und die fehlende Kommunikation in der AG führte im Anschluss dazu, dass immer wieder Aufgaben und Arbeit bei FLINT*-Personen hängen blieb, die einen höheren Druck empfanden, dass die Arbeit der Veranstaltungs-AG erfolgreich ist, während cis endo Männer sich darauf ‚ausruhen‘ konnten, dass sie ihre Ressourcen und Möglichkeiten klar kommuniziert und die von ihnen übernommenen Aufgaben erfüllt hatten. Die Veranstaltungs-AG reproduzierte so in ihrer eigenen Arbeit sexistische Strukturen, indem sie faktisch überdurchschnittliche Arbeitslast denjenigen zuschob, die aufgrund ihrer eigenen Betroffenheit bzw. emotionalen Involviertheit geringere Möglichkeiten hatten, sich ihr zu entziehen, während ich und die anderen cis endo Männer der AG ihr Privileg, antisexistische Arbeit distanzierter zu betreiben, nicht reflektierten, sondern nur ausnutzten, und damit ihre Genoss*innen missachteten.

Wiederholtes Scheitern

Die Veranstaltungs-AG hörte im Anschluss an die letzten organisierten Veranstaltungen faktisch auf zu existieren und hat sich mittlerweile aufgelöst. Auch dieser Auflösungsprozess war von den beschriebenen sexistischen Dynamiken geprägt. Es gab ein moderiertes Reflexionstreffen, in dem unter anderem die oben beschriebene Struktur herausgearbeitet wurde. Aus diesem Treffen sollte ein Text hervorgehen, der die Probleme innerhalb der Arbeit der AG dokumentiert. Die Aufgabe, diesen Text zu schreiben, hatten cis endo Männer der AG übernommen, aber diesen Text nie geschrieben und so die angesprochene Missachtung noch einmal wiederholt.

Und nun?

Die Veranstaltungs-AG ist aufgelöst, das Prozess-Plenum befindet sich im Umbau um eine neue Form zu finden, nachdem die Beteiligung in den letzten Monaten deutlich abgenommen hat. Die ehemaligen Aktiven der AG machen in ihren jeweiligen politischen Kontexten weiter Politik. Das Kapitel ist also auf gewisse Weise abgeschlossen. Warum also nun dieser Text? Einerseits in der Hoffnung, dass aus der Erfahrung etwas zu lernen ist, was insbesondere die Arbeit zu sexueller/ sexualisierter Gewalt, aber generell alle politische Arbeit betrifft. In unserem Fall: Dass eine Verständigung nicht nur über Ressourcen und zeitliche Grenzen notwendig ist, sondern auch über die persönliche Bedeutung der politischen Arbeit, die man gemeinsam machen möchte, und diese Bedeutung in der Praxis dann einen Widerhall finden muss. Und natürlich – wenig verblüffend – dass auch feministische cis endo Männer in ihrem Verhalten nicht besser oder reflektierter sind; und sie sich zu oft darauf ausruhen, auf Forderungen zu warten und so lange das Selbstbild haben, denen selbstverständlich nachzukommen. Distanz zur eigenen politischen Praxis mag eine Notwendigkeit sein, um weitermachen zu können. Aber dass ich mir diese Distanz wegen meiner Männlichkeit leisten kann, muss ich dabei mitdenken, damit daraus nicht die Reproduktion der Gewalt wird, gegen die es doch gehen soll.

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