„Dann mach ich es halt“

Der folgende Text ist eine Reflexion auf das Scheitern der Veranstaltungs-AG des Prozessplenums in Jena. Geschrieben ist er von einer endo cis Frau, die in der AG aktiv und zeitweise die einzige nicht endo cis männliche aktive Person war. Sie hofft, dass ihre Erfahrungen und Erkenntnisse, indem sie sie teilt, anderen, die vielleicht ähnliches kennen, irgendwie nützen können. Die Erfahrungen in der besagten AG sind dabei exemplarisch, aber für die Autorin besonders einschneidend. content note: Missbrauch, Trauma

Ich bin eigentlich Verfechterin davon, dass politische Arbeit nicht zwingend Spaß und Befriedigung bringen muss. In der Entscheidung zwischen (Selbst-)Verwirklichung und Negativität bestehe ich auf letztere. Das ist zum einen meine theoretisch begründete Positionierung gegen die Verhältnisse. Zum anderen hängt sie wohl zusammen mit einem Masochismus, der von mir Aufopferung für die Sache verlangt und trotz aller Ablehnung von Härteidealen mir selbst gegenüber keine Rücksicht erlaubt und letztlich die Notwendigkeit von Härte für den politischen Kampf als Rechtfertigung dafür setzt.
Diese Haltung ist dann eben doch nicht rein pragmatisch und durchdacht, sondern genauso Befriedigung meiner affektiven Bedürfnisse wie es Aktivismus als Anerkennungs- und Wohlfühlgenerator für andere ist. Dass diese Bedürfnisse Spuren von Beschädigung sind, liegt auf der Hand. Sofern sie der Motor zu deren Bekämpfung sind, bin ich cool damit.
Ich erwarte ferner nicht, dass politische Arbeit therapeutisch zu sein hat. Vielmehr sehe ich in den Versuch, sie dafür zu halten als ein Risiko, den Motor so zu sabotieren.

Ein bisschen Leid gehört nun mal notwendig dazu…?

Obwohl mir die gängigen Formen linken Märtyrertums fremd und befremdlich sind, tendiere ich also zur Selbstausbeutung, die ich – da bin ich mir sicher – mit einigen Genoss*innen teile. Chronische Überlastung, übermäßiges Verantwortungsgefühl und tatsächliche Übernahme von Verantwortungen, die von anderen verschmäht oder gar nicht gesehen werden… Das alles kenne ich auch außerhalb der Politik und seit der Arbeit in der Veranstaltungs-AG habe ich endlich gecheckt, woher das kommt, dass ich immer wieder in dieser Rolle lande, mit der ich so hadere: Ich bin Missbrauchsopfer.
Das ist zwar etwas, was meine Therapeutin mir seit Jahren versuchte, klarzumachen, was aber erst jetzt so richtig ankam.
Schon als Kind hineingezogen in Erwachsenenbelange bin ich von klein auf daran gewohnt, zu große Last zu tragen, bis hin zur gefühlten Verantwortung für das Wohlergeben oder gar Überleben psychisch kranker Elternteile. Meine eigenen Grenzen wurden dabei permanent übergangen und so absolvierte ich ein recht gutes Training, sie ebenso wenig zu achten. Dass wussten übergriffige Männer seit meiner Jugend auszunutzen.
Ich habe nun gelernt, dass ein Zusammenhang von kindlichem Missbrauch und Verantwortungsbewusstsein besteht. Gesteigertes Verantwortungsgefühl ist eine Reaktionsweise, die es erlaubt, das Selbstwertgefühl künstlich zu stärken – sich also erwachsener/ wichtiger zu machen, als man ist oder sich als handlungsfähiges Subjekt statt als Opfer entwerfen zu können und dabei Schuld- und Schamgefühle zu verdecken und in etwas gesellschaftlich Nützliches zu überführen. Typisch für diese Symptomatik ist auch die Abwertung anderer für vermeintlich zu wenig Schuld- bzw. Verantwortungsgefühl, die bei mir oft genug zum Treibstoff für neue Schuldgefühle wird und dennoch eine Quelle von seltsamem Stolz darstellt. Daher ziehe ich die Verantwortung an, weil sie meine Chance auf Anerkennung ist (was auch bedeutet, dass ich damit mitwirke an der Herausbildung interner Hierarchien), und fühle mich in der Folge oft alleine.
(Ungünstig verstärkt wurde das alles durch die Covid-19-Pandemie, das verantwortungslose Verhalten vieler Menschen in dieser und die Tatsache, dass es dort wirklich irgendwie „um Leben oder Tod“ ging sowie die damit einhergehende faktische Isolation.)
Das steht im ständigen Kontrast dazu, dass ich mich doch eigentlich politisch organisiere, um nicht allein in dieser scheiß Welt zu sein, um niemanden alleine zu lassen und um gemeinsam zu kämpfen. Dabei dann so alleine gelassen zu werden, wie es für mich bei der Veranstaltungs-AG der Fall war, war sehr schmerzhaft für mich. Abwesende Genossen erinnerten an abwesende Väter. Das Gefühl, alles laste allein auf meinen Schultern war plötzlich nicht nur eine schädliche Phantasie, sondern auch irgendwie Wahrheit.
Als unsere AG einen online-Workshop mit actions against rapeculture organisierte, von denen ein Awareness-Team als Bedingung gestellt worden war, hatten ich und die einzige andere FLINT*-Person in der AG von Anfang an explizit ausgeschlossen, das zu übernehmen. Als sich dann aber niemand fand, waren wir es, die als einzige aus der AG an der Veranstaltung teilnahmen, die zu zweit die letzte Absprache mit den Referierenden, die Moderation, Technik UND die Betreuung des digitalen Awareness-Raums übernahmen. (Ganz zu schweigen davon, dass auch wir zwei uns um Mobi, Referierenden-Korrespondenz, Anmeldungsmails, und Finanzierung gekümmert hatten.) Unser klares Nein zu Beginn der Planung war verhallt. Niemand hat uns dazu gezwungen, aber es war uns eben wichtig, dass der Workshop stattfindet.
Als während des Workshops eine Reihe von Symptomen besprochen wurde, die Betroffene sexualisierter Gewalt häufig erleben, merkte ich einen Schwindel in mir aufkommen. Das waren größtenteils Empfindungen, die seit meiner Jugend meine treuen Begleiterinnen waren. In dem Moment hoffte ich sehr, dass mein Laptop bloß kein Signal gebe, dass jemand den Awareness-Raum beitritt, den ich in dem Moment selbst gebraucht hätte.
Wir beschwerten uns in der AG, legten fest, in Zukunft Veranstaltungen ohne Awareness abzusagen und berichteten dem Prozessplenum von der Überforderung und miesen Arbeitsteilung in der AG. Alle gelobten Besserung, eine Einzelperson und eine Gruppe traten der AG zur Unterstützung bei.
Vielleicht ist meine Enttäuschung gerade daher besonders groß, da das Problem der Verantwortungsdiffusion bereits offen auf dem Tisch lag und sich doch nichts für mich änderte: Die Neumitglieder kamen nie wieder und reagierten nicht mehr, ich war inzwischen die einzige FLINT*-Person in der AG und letzten Endes auch die einzige anwesende Person bei der Fortsetzung ‚unserer‘ Veranstaltungsreihe.
In dieser Zeit fühlte ich mich wie Jahre zurück katapultiert, was meine psychische Stabilität betraf: Schlafstörungen, Suizidphantasien, tägliche Nervenzusammenbrüche. Ich fühlte mich überfordert und isoliert. Aber auch wütend – und das war neu. Ich merkte, dass ich nicht länger dazu bereit war, die Wut zu schlucken und letztlich gegen mich selbst zu richten und so begann ich wütend zu sein auf meine Genossen, die mich im Stich gelassen und in meiner Empfindung ausgenutzt haben – wohl auch stellvertretend für meinen Vater und andere Männer meiner Vergangenheit. Vielleicht war es auch die Ironie der Sache, diese Erfahrung bei einem antisexistischen Projekt machen zu müssen, bei dem die Themen Trauma, Missbrauch und die Handlungsfähigkeit Betroffener eine ständige Rolle spielen, die mir geholfen hat, mir zuzugestehen, Wut zu empfinden und zu Erkenntnissen zu kommen.
Um meiner Wut ein zielgerichtetes Ventil zu geben, forderte ich ein moderiertes Nachbereitungstreffen. Nachdem schon im Vorfeld Abwehrreaktionen mich bis zuletzt zweifeln ließen, ob ich wirklich teilnehmen solle, war das Treffen für mich unabhängig von den Reaktionen meiner Genossen ein voller Erfolg, weil es mir die Möglichkeit gab, Dinge an der richtigen Adresse loszuwerden.
Hier wäre nun ein guter Punkt für den Schluss gekommen, doch leider ging die abermals besprochene Scheiße in die nächste Runde: Ich erfuhr, dass der Wunsch einer referierenden Person, nicht bei einem cis Mann übernachten zu müssen, von der zuständigen Person aus unserer AG übergangen wurde. Ich fühlte mich wieder mal verantwortlich dafür und nahm es als mein Verschulden an, diese Aufgabe an einen cis Mann delegiert zu haben.
Ich kümmerte mich wider Willen um die Finanzierung einer weiteren Veranstaltung und sogar der Moderation der Nachbereitung, deren Organisation mir eigentlich ein Genosse versprach zur Entlastung abzunehmen.
Und ich musste anprangern, dass die geplante Auflösungserklärung der AG, die eine Analyse ihres Scheiterns umfassen sollte, wortlos unter den Tisch fallen gelassen wurde.
Ich habe mir damals Hilfe gesucht und glücklicherweise schnell bekommen. Ich bin wieder stabil und tatsächlich trotz allem auch irgendwie dankbar über diese neuen Erkenntnisse.
Manchmal bemitleide ich mich für meine freiwillige Selbstausbeutung, aber es empört mich, dass es scheinbar auch eine strukturelle Dimension hat, dass diese Form der Beschädigung, die wohl vor allem FLINT*-Personen betrifft, in linken Strukturen geradezu ausgebeutet wird, wenn ich mir so anschaue, wer hier immerzu die Verantwortung trägt – wer ständig Awareness machen muss, weil sich niemand anderes findet, wer schon wieder moderiert, anmeldet, Mails schreibt, den Müll rausbringt, etc., weil sonst niemand Lust hat oder die Notwendigkeit dazu sieht, wer sich um alles und jede*n kümmert, die Aufgaben zusammen- und Fristen mitdenkt, hundertfach nachhaken muss und meckern, dass Dinge wieder liegen blieben usw. usf.

Kurz: Wer den Laden zusammen und am Laufen hält. Wir sollten mehr darauf achtgeben – und damit meine ich nicht, mehr Anerkennung und Dank dafür aufbringen, sondern tatsächlich mal mit anzupacken und verlässlich zu werden – und damit aufhören, so wichtige Ressourcen wie Leute, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen, permanent zu verfeuern.
Auch wenn ich weiterhin finde, dass politische Arbeit weder Selbstverwirklichung noch Heilung sein sollte, so soll sie doch genau so wenig Retraumatisierung bedeuten.

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