Die Aluhut-Chroniken XXIV – „Ein ideologisch fixiertes Disbelif-Syndrom“

Verschiedentlich war in diese Kolumne davon die Rede, dass der unbedingte Wille zu Rationalität und Fortschritt manchmal selbst esoterische Züge trägt. Aktuelles Beispiel für skeptische Skeptiker*innen, deren Skeptizismus am Ende zur Weltanschauung erstarrt, ist die Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften. Die GWUP kritisiert seit vielen Jahren Pseudowissenschaften und macht das gründlich und oft auch recht öffentlichkeitswirksam. Positiver Bezugspunkt ist dabei seit jeher rationales, an Naturwissenschaften orientiertes Denken. Kritische Theorie wird da natürlich nicht gerne gesehen, schließlich hat die ja eine entschiedene Kritik daran, dass die positivistische Wissenschaft behauptet, wertfrei und streng logisch auf die Gesellschaft zu gucken. Dem entsprechend soll pure Vernunft siegen, jedes gesellschaftliche Problem sich naturwissenschaftlich lösen lassen. Was die GWUP jetzt dahin geführt hat, als Lösung für die Klimakrise den Ausbau von Kernenergie vorzuschlagen. Aus der reinen Kritik des Irrationalismus heraus ergibt das Sinn: Die „German Angst“ vor neuen Technologien trägt ja tatsächlich manchmal religiöse Züge. Und ja, die Weltuntergangsstimmung der Anti-Atom-Bewegung der 1970er- und 1980er-Jahre war teilweise esoterisch. Bei der GWUP wird aus der Kritik der Atomkraftgegner*innen eine Verteidigung der Atomkraft, gegen die Angst soll nun „Augen zu und durch“ helfen: Es lebe eine kapitalintensive, zentralistische Technologie, die nur mit einem entsprechend ausgerüsteten repressiven Staatsapparat und der Ausbeutung billiger Arbeitskraft im globalen Süden funktioniert. Was hier passiert, nennt Edgar Wunder, mittlerweile ausgetretenes Gründungsmitglied der GWUP, das Skeptiker-Syndrom: „Ein ideologisch fixiertes Disbelief-Syndrom“, ein geiles Angeber-Wort. Es läuft darauf hinaus, dass Skeptizismus hier eben nicht kritisches Denken bedeutet, sondern auf eine dogmatische Ablehnung von allem, dass nicht der etablierten Wissenschaft entspricht. „Die Wissenschaft“ (in der Einzahl) wird so selbst zu einem religiösen Konzept, der Streit zwischen verschiedenen Ansätzen und Wissenschaftler*innen eingeebnet zu dem, was eben gerade die meiste Anerkennung, die beste Öffentlichkeitsarbeit oder die meisten Fördermittel bekommt – oder einfach in der eigenen Szene geglaubt wird. Woraus dann ein Dogmatismus der herrschenden Überzeugungen folgt: Atomkraft ist super (GWUP), Marxismus eine Scheinwissenschaft (Psiram) und Elektroschocks gegen psychische Krankheiten vielleicht doch eine gute Idee (GWUP). Ein ähnlicher Dogmatismus der Normalität entfaltet sich im Diskurs um Verschwörungstheorien: Weil die Schwurbler eine antisemitische und autoritaristische Kritik vorbringen, wird dagegen Kapitalismus das bestmögliches System zur Verteilung von Ressourcen und parlamentarische Demokratie als tolle Möglichkeit, für die eigenen Interessen einzutreten, verteidigt – was am Ende nichts anderes als die Ideologie der Ideologiefreiheit ist.

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