Linke Sehnsucht nach Eindeutigkeit: Transfeindlichkeit als Angst vor der Freiheit

Im Juli 2022 macht die Gruppe trans*solidarische Vernetzung Konfliktlinien im Jenaer CSD Bündnis transparent. Sie veröffentlicht ein Statement, welches sich gegen die Vereinnahmung queerer Politik und Identitäten durch die hiesige FDP wehrt – nachzulesen unter: https://transsolidarische-vernetzung.de. Die Antwort des CSD Bündnisses lässt noch auf sich Warten. Im Folgenden liefert die Gruppe ein Verständnis des Begriffs „Transfeindlichkeit“ und beleuchtet ihre Beobachtungen der Verbreitung dieser auch in der Linken.

Auf Transfeindlichkeit können sich alle einigen. Ein Thema, dass die verschiedensten Schichten, Milieus und politischen Lager verbindet. Wenn Haltungen und Narrative in der Sezession, der FAZ und der taz vorkommen können, wenn Alice Schwarzer, Beatrix von Storch und Sahra Wagenknecht sich einig werden, dann sollten Linke misstrauisch werden – meint man. Dem ist leider nicht so, wie die jüngsten transfeindlichen Ausfälle der linken Szene in Halle und die breite Solidarisierung mit diesen, zeigen.
Linke Transfeindlichkeit muss sich, um nicht in Widerspruch zu den eigenen Ansprüchen zu geraten, als eigentliche Menschenliebe travestieren. Was dem linken Antisemiten sein Antiimperialismus und vorgeblicher Antirassismus ist, ist der linken Transfeindin, der Schutz von Frauen und Homosexuellen. Das eigene Engagement, das im Wesentlichen dazu dient, trans Personen in ihren widrigen Lebensumständen zu halten, diese noch zu verschlechtern und sie aus den eigenen politischen Bewegungen systematisch herauszudrängen, wird durch Angstbilder von vergewaltigenden trans Frauen und der heimlichen Übernahme des Feminismus, der Kolonisierung von Frauenkörpern sowie der des weiblichen und homosexuellen Begehrens, gerechtfertigt. Als Rechtfertigungsstrategie dient dabei die Gegenüberstellung einer angebliche „echten“ Weiblichkeit/Männlichkeit von cis Personen und der „nur gefühlten“ Geschlechtlichkeit von trans Personen. Es handelt sich in der Konsequenz immer um eine Naturalisierung von Cisgeschlechtlichkeit. Das offene Eingeständnis, dass die eigene angeblich „radikale“ oder „materialistische“ Perspektive darin besteht, die Geschlechtsidentität damit an die ‚materielle Realität‘ der An- oder Abwesenheit eines Penis zu knüpfen – die Gebärmutter, in guter deutscher Tradition, zum Ausgangspunkt von Frauenpolitik zu machen, wird dabei selten gemacht. Stattdessen wird mit geschlechtlicher Sozialisation argumentiert, Annahmen über die angebliche Sozialisation von trans Personen getroffen. Dass die sozialisationstheoretische Argumentation durch ihre mechanistische Vorstellung der Geschlechtswerdung, letztendlich in den Biologismus zurückfällt oder diesen sogar stärkt, darauf haben Feministinnen auch schon vor Butlers Gender Trouble hingewiesen. Pointiert schreibt Carol Hagemann-White 1984:
„[…] was als Widerlegung von biologistisch behaupteten Unterschieden begann, gerät in den Sog, eine eigene Erklärung für den weiblichen Sozialcharakter zu liefern, so dass am Ende der Eindruck siegt: Mädchen sind gefühlsbetonter, an Personen interessierter, abhängiger, braver – aber eben nicht so geboren, sondern dazu gemacht worden. Um dem Argument gesellschaftlicher Verursachung Gewicht zu verleihen, wird dem Gegner am Ende viel mehr zugestanden, als er auf empirisch-positivistischer Basis hätte beanspruchen können.“
Im Bezug auf trans kommt die ganze Gewalt, die in diesem deterministisch Konzept steckt zum Tragen. Trans Personen kann damit ihre Geschlechtlichkeit problemlos abgesprochen werden, schließlich sind sie nicht in der Art vergeschlechtlicht worden, wie das die Normkonzeptionen von geschlechtlicher Sozialisation für Männer und Frauen vorsieht. Die liberal-feministische Antwort darauf, für trans Frauen eine weibliche Sozialisation zu behaupten – à la trans Frauen sind Frauen, also weiblich sozialisiert – hilft nicht weiter, offenbart aber praktisch die Schwäche sozialisatorischer Konzepte. Die durchaus verschiedenen Erfahrungen, die (trans und cis) Frauen im Prozess ihrer Frau-Werdung machen verschwinden dahinter. Die Vereindeutigung unterschiedlichster Lebensläufe zur geteilten weiblichen Sozialisationserfahrung ist in den klassischen Sozialisationskonzepten angelegt – das Ende ist immer schon am Anfang bekannt und so ist es nur nahe liegend vom Ende auf den Anfang zu schließen. Egal ob trans Personen ihre Geschlechtlichkeit zu- oder abgesprochen werden soll, es bleibt immer offen, was diese Sozialisation eigentlich sein soll.
In klassischen Sozialisationskonzepten funktioniert dieser Prozess entweder durch Nachahmung oder durch Konditionierung. Überträgt man diese Konzepte auf Geschlecht so muss eine gewisse Gemeinsamkeit in den Lebensumständen und Erfahrungen der Geschlechtsgenoss*innen vorhandensein, um die Herausbildung eines irgendwie einheitlichen Geschlechtscharakters durch Sozialisation sinnvoll erklären zu können. Schon bei der krassen Differenz der Erfahrungen und Lebensumstände zwischen cis Frauen, erscheint das recht unplausibel. Inkludiert man dann auch noch trans Frauen in diese weibliche Sozialisation, wird noch unklarer was diese eigentlich sein soll. Es bleibt nur noch die Auflösung ins völlig Individuelle. Damit verliert das Konzept jede Erklärungskraft für die Herausbildung des weiblichen Geschlechtscharakters. Trans Frauen performen jedoch Weiblichkeit und das mitunter besser als viele cis Frauen. Wenn eine trans Frau GNTM (Germany’s next Topmodel) gewinnen kann, dann kann man daraus – in Bezug auf das eben Gesagte – entweder den Schluss ziehen, trans Frauen sind dennoch keine ‚echten Frauen‘ und persiflieren Weiblichkeit nur oder es gibt darin nichts ‚Echtes‘.
Das Sozialisationsargument ist ein Lückenbüßer, um das Bestehende zu erklären. Es ist immer rückwirkende Vereindeutigung der Biografie, der eigenen Geschichte. Das Ergebnis ‚Frau‘ ist gesetzt, also scheinen alle Erfahrungen darauf hinaus zulaufen. Sie haben die Funktion von Gründungsmythen – das Bestehende wird nachträglich, als Notwendigkeit gerechtfertigt. Das Sozialisationsargument manifestiert jene Vorstellung von Echtheit und Wahrhaftigkeit über die Denkfigur der historischen Notwendigkeit. Jede Kontingenz verschwindet dahinter. Wenn aber an Transgeschlechtlichkeit irgendetwas interessant ist, dann dass sie diese Kontingenz vor Augen führt – aufzeigt, dass Geschlecht eben keine Notwendigkeit, kein Schicksal ist, weder ein ansozialisiertes noch ein angeborenes.
Trans stellt die Eindeutigkeit und Kohärenz von Geschlecht in Frage. Trans erinnert an die Lust an – statt den Zwang zu Geschlecht. Trans macht Veränderung denkbar. Genau das nimmt die Gesellschaft ebenso wie Teile der Linken trans Personen übel. Transfeindlichkeit ist nicht nur die Anfeindung, die man als trans Person ständig erlebt, sondern sie ist der Ausdruck eines Denkens, dass das Unegale, das Nicht-Identische auslöschen möchte. Ein Denken, das die Ordnung – hier die Ordnung der Zweigeschlechtlichkeit – als gut, göttlich oder natürlich setzt und was nicht hinein passt untersucht, diagnostiziert, pathologisiert, behandelt, abwehrt, bekämpft und im schlimmsten Fall vernichtet.
Die Normierung, die mithilfe des Transsexuellen Gesetzes, dem medizinisch-psychologischen Apparat sowie den medialen Diskursen über trans Personen, stattfindet, ist der wirkmächtigste Teil dieses Auslöschungsprozesses. Zugleich stellen diese normierten Diskurse Trans als Identität her. Hier werden die Abweichungen, nämlich das, was nicht integrierbar scheint, integrierbar gemacht – (wenn auch mit Abstrichen). In diesem Prozess geht es vor allem um die Herstellung von Authentizität. Nichts erscheint wichtiger, als die Betonung die Person sei schon immer dieses Geschlecht, sie sei nur durch eine Laune der Natur im falschen Körper gelandet, sie bzw. ihr Verhalten wäre aber schon immer weiblich/männlich gewesen. So kann der Widerspruch zur Idee der Zweigeschlechtlichkeit zu einem kleinen Fehler um interpretiert werden und die Integration von trans Personen in die hegemoniale zweigeschlechtliche Ordnung gelingen.
Um nur ein Beispiel zu nennen: Um als trans Person an Hormone zu kommen, braucht es ein psychologisches Gutachten. Hier werden neben dem „Ausschluss von Kontraindikationen“ vor allem zwei Dinge gemacht: man füllt Fragekataloge aus, in denen man bezeugt, dass man Abscheu und Ekel dem eigenen Körper gegenüber empfindet und man gibt einen „transidenten Lebenslauf“ zu Protokoll, der belegen soll, dass sich das Wunschgeschlecht schon in früher Kindheit stereotyp manifestierte. Überraschenderweise geben die so Befragten genau diese Erwartungshaltungen auch zu Protokoll – natürlich lehnt man den eigenen Körper ab, natürlich hat man bisher keine erfüllte Sexualität gehabt, natürlich hat man die ganze Kindheit hindurch nur die Barbie gestriegelt. Und da alle dies zu Protokoll geben, scheinen dies dann auch die echten „Symptome“ des „Transsexualismus“ zu sein. Die Authentizität des Phänomens ist hergestellt, bleibt aber fragil. Die gesamte Geschichte der „psychologisch-psychiatrischen Diagnostik“ von trans Personen ist geprägt von solchen selbst-erfüllenden Prophezeiungen, worauf Sandy Stone schon in den 80ern aufmerksam machte. Symptomkataloge, die nichts anderes sind als Geschlechterklischees, Exotisierungen und Offensichtlichkeiten, werden zum Maßstab erhoben, der dann von den zu diagnostizierenden gespiegelt wird, was nur beweist wie tauglich der Maßstab doch sei.
Transfeindliche Feminist*innen sehen genau darin, die Reaktualisierung von überkommenen Geschlechterklischees. Das ist einerseits zynisch – als hätten ausgerechtet trans Personen hier die Macht diese Selbstbestätigung zu brechen – und andererseits unterschlägt es völlig, das dies der generelle Modus Operandi der Herstellung von Geschlecht ist. Demgegenüber wiederholt ein linker Diskurs, der die Herstellung von Geschlecht mit Sozialisation erklärt, die binäre, schicksalhafte Vorstellung von Geschlecht und löscht damit diskursiv genau das aus, was jene Vorstellung in Frage stellt. Für trans Personen bedeutet das, dass gesellschaftliche wie feministische Anerkennung für sie nur zum Preis der Vereindeutigung und Auslöschung ihrer realen Biografie zu haben ist. Für sie – in viel existenziellerer Weise als für cis Personen – ein ständiger Zwang besteht sich zu beweisen, die ‚Echtheit‘ der eigenen Geschlechtlichkeit zu betonen.
Die ständige Angst ‚enttarnt‘ zu werden, die eigenen Gefühle als Einbildung entlarvt zu sehen, der Norm nicht zu entsprechen, kurz: fake zu sein, prägt das Selbstverhältnis in fundamentaler Weise. Das gesellschaftliche Bedürfnis nach Authentizität wird zum Eigenen und wendet sich gegen alles, was an einem selbst nicht zu passen scheint. Obsessiv wird alles bekämpft, was an einem selbst die geschlechtliche Eindeutigkeit in Frage stellt. Große Teile der eigenen Biografie werden geleugnet, eigene Erfahrungen zu einem widerspruchsfreien Narrativ geordnet, jede Regung wird auf die darin enthaltenen geschlechtlichen Implikationen befragt, aus einem Wunsch nach einem anderen Körper wird der Hass auf den Eignen, aus trans als Entwicklung und Bewegung wird die Angleichung an das schon immer da gewesene. Politisch spiegelt sich das in den Narrativen der bürgerlichen trans Bewegung wider:
Aus Angst für ansteckend oder eine Mode gehalten zu werden, macht man sich zur händelbaren Identität, biedert sich der hegemonialen Geschlechtervorstellung an. Aus Dankbarkeit nicht tot geschlagen zu werden, macht man die eigene Andersartigkeit so gut es geht unsichtbar, die eigene Existenzweise zum Mangel. Statt durch Schönheit und Lust an der eigenen Geschlechtlichkeit die herrschende Ordnung herauszufordern, wiederholt man den Zwang zur Geschlechtlichkeit.
Der Bruch mit der binären Vorstellung und das Eingeständnis, dass letztlich alle Geschlechter fake aber darum nicht weniger bedeutungsvoll sind, beinhaltet ein Freiheitsversprechen für trans wie für cis Personen. Vor allem aber ist es das Freiheitsversprechen eines queeren Feminismus, wie wir ihn verstehen.

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